Bestand ist der bessere Neubau

Nichts ist schöner als die Eröffnung eines neuen Gebäudes.

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Nichts ist schöner als die Eröffnung eines neuen Gebäudes.

Dafür rücken Politiker aller Couleurs und jeglichen Rangs aus, um Eröffnungsreden zu halten und Bänder durchzuschneiden. Diese Immobilien werden gefeiert und zelebriert. Gerade wenn ein Bauherr auf der grünen Wiese baut, ist es ein Leichtes den Energiebedarf zu optimieren und mit dem Neubau beeindruckende Benchmarks zu setzen. Wie grau ist im Vergleich dazu der Bestand, wie unaufgeregt und unspektakulär.

Nachhaltigkeit: nur mit dem Bestand

Im Jahr 2009, genauer am 29.09.2009, haben sich in Österreich 125 Gründer zusammengefunden, um eine NGO zu gründen, welche das Ziel hat, die Bau- und Immobilienbranche auf dem Weg des Paradigmenwechsels hin zur Nachhaltigkeit zu begleiten. Ich darf seither als Gründungspräsident ein Stachel in der Gesellschaft sein und mit der ÖGNI ein Motor für längst überfällige Veränderungen. Unsere Branche ist immer noch eine Branche der Brüche und allzu selten wird über längere Zeiträume geplant und agiert.

Eine Kernaufgabe der ÖGNI war es gleich zu Beginn, mit einem Zertifizierungssystem Gebäudequalitäten sichtbar zu machen und somit bessere Immobilien auszuzeichnen. Natürlich war es leichter, diese Übung zuerst am Neubau zu entwickeln und erstmals anzuwenden. Somit gebe ich offen zu, dass auch ich in die Neubau-Falle getappt bin. Zur Ehrenrettung sei erwähnt, dass wir uns auch gleich um den Bestand gekümmert haben und nunmehr mit der BlueCARD ein leistungsfähiges System haben. Wir können ähnlich dem Typenschein für ein Auto ein Gebäude laufend dokumentieren und zertifizieren.

Die Bau- und Immobilienbranche ist eine Branche, die für bis zu 50 Prozent des Ressourcen- und 40 Prozent des Endenergieverbrauchs sowie 30 Prozent der CO2-Emissionen und 20 Prozent der Krankheitsbilder verantwortlich ist – wir müssen daher Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Wir bauen weniger als 1 Prozent jährlich neu und es ist logisch: das nachhaltigste Haus ist jenes, welches schon vor langer Zeit gebaut und noch immer genutzt wird.

Es ist nicht alles Gold was glänzt

Der Bestand wird aber immer noch unterschätzt und hier vor allem historische Gebäude – genau aus diesem Grund ist es notwendig sich damit im Detail auseinanderzusetzen. Auf diesem Weg sollen folgende Gedanken Anstöße liefern:

• Die richtigen Benchmarks: der Bestand hat es verdient, wenn wir andere Kennzahlen als Grundlage für unsere Entscheidungen heranziehen. Im Neubau ist es leichter, zB den Heizwärmebedarf zu optimieren und wenn daran alles gemessen wird – langfristige auch der Wert einer Immobilie, schaut es für den Bestand duster aus. Noch schlimmer wird es, wenn ein Unternehmen nur eine bestimmte (meist sehr geringe) Fläche pro Mitarbeiter bereitstellen möchte. Gehen sich diese Grundrisse dann überhaupt im Bestand aus?

Dabei bleibt aus Betrachtung, dass beim historischen Bestand die Infrastruktur oft gegeben ist. Diese Gebäude einen enormen gesamtwirtschaftlichen Mehrwert schaffen; ich denke hier nur an die Hofburg. Wir sind somit aufgefordert, für die Branche neue Rahmenbedingungen zu definieren, an denen wir dann alle Gebäude (ob auf der grünen Wiese oder im historischen Zentrum) vergleichen können.

• Aus- und Weiterbildung: wir lernen viel über den Neubau und wenig bis nichts über den Bestand. Dabei ist die Beschäftigung mit vorhandenen Immobilien die komplexere Aufgabenstellung. Wir brauchen daher neue Angebote.

• Und abschließend: wir brauchen eine Lobby für unser Kulturerbe, für unsere historischen Gebäude und somit für unseren Bestand.