Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf

Nicht nur Thomas Malloth, der Fachverbandsobmann der Immobilientreuhänder, befürchtet, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen und der Wohnungsmarkt für die einkommensschwächeren Schichten ein immer geringeres Angebot bereitstellen wird.

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Soziale Treffsicherheit. Für die einkommensschwächeren Schichten wird das Angebot an preisgünstigem - leistbarem - Wohnraum immer kleiner.

Nicht nur Thomas Malloth, der Fachverbandsobmann der Immobilientreuhänder, befürchtet, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgehen und der Wohnungsmarkt für die einkommensschwächeren Schichten ein immer geringeres Angebot bereitstellen wird. „Über 75.000 Alt- oder Friedenszinsverträge, Eintrittsrechte und die Belegung tausender geförderter Wohnungen durch Privilegierte macht Wohnen in Wien für Junge teuer“, so der Fachverbandsobmann.

Mit dieser Meinung steht Malloth nicht allein da. Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe der Immobilientreuhänder in der Wiener Wirtschaftskammer: „Es gibt in Wien hunderttausende Privilegierte, die niedrigste Mieten bezahlen. Die Kosten eines Gebäudes müssen aber gedeckt werden, was vor allem zulasten Junger geht, die derzeit eine Wohnung suchen oder vor kurzem bezogen haben. Diese niedrigen Mieten müssen unter Berücksichtigung einer entsprechenden Einschleifzeit an das Marktniveau herangeführt werden. Das würde die derzeitige Schere zwischen den Privilegierten-Mieten und dem Preisniveau bei Neuvermietungen reduzieren!“

Seit Monaten nimmt die Debatte zu „leistbarem Wohnen“ breiten Raum in der Öffentlichkeit ein. Kein Wunder – die nächsten Landtags- und Gemeindewahlen stehen vor der Tür, da kommt ein Thema, das entsprechend Stimmung schürt, gerade richtig. Die Parteistrategen und Spin-off-Doktoren kommen dabei so richtig in Fahrt.

Sozialer Wohnbau oder Privat?

Was ist leistbares Wohnen?

Dieser Frage ging die Volksökonomin Agnes Streissler-Führer im Auftrag des ÖVI in der Studie „Leistbares Mieten – Leistbares Leben“ nach. Eine einheitliche Definition dazu gibt es bislang nicht. Eine Messung ist insofern schwierig, da neben der Entwicklung bzw. Höhe der Wohnkosten auch Verteilungsaspekte, Wohnqualität und Präferenzen zu berücksichtigen sind. Nach EU-SILC Definition wird von einer Überbelastung gesprochen, wenn mehr als 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens fürs Wohnen aufgewendet werden muss. Die Statistik Austria hingegen sieht die Grenze bei 25 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens. Egal, welche Grenze man nun als Benchmark nimmt, Österreich liegt mit 22 Prozent der Haushaltsausgaben für Wohnkosten (Miete und Eigentum) sowohl unter dem EU-28 als auch dem EU-15 Schnitt. Auch beschränkt auf die Kosten für Mietwohnungen liegt Österreich unter dem EU-15 Schnitt, nur in Schweden sind Ausgaben für Miete niedriger.

Mietaufwand in Arbeitsstunden

Ärmere Haushalte zahlen mehr

Auffallend aber ist, dass in Österreich die Wohnkosten für Alleinerziehende höher sind, während im Vergleich dazu Single-Senioren-Haushalte sich über niedrige Wohnkosten freuen können. Schlecht schaut es auch für „ärmere“ Haushalte (Haushalte mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des medianen Äquivalenzeinkommens) aus. In dieser Gruppe ist der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen mit über 40 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.

Hier drängt sich die Frage auf, wieso dieser Wert trotz eines 60-prozentigen Anteils an sozialem Wohnbau in Österreich überhaupt möglich ist. 51 Prozent der Mieter auf dem privaten Markt sind der Gruppe mit niedrigem Einkommen zuzuordnen, während 47 Prozent der Mieter aus der Gruppe des oberen Einkommens (mehr als 180 Prozent des Medianeinkommens) in einer Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung leben.

Mangelnde soziale Treffsicherheit

[caption id="attachment_571" align="alignleft" width="300"]Georg Flödl Georg Flödl[/caption]

„Diese Faktenlage macht die mangelnde Treffsicherheit und Reformbedürftigkeit des österreichischen sozialen Wohnbaus wohl mehr als deutlich evident“,

empört sich Flödl und fordert die Bundesländer auf, ihre kommunalen Wohnungsvergabe- und Wohnbauförderungssysteme einer Evaluierung zu unterziehen und entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Nicht nur Flödl fordert im Sinne der sozialen Gerechtigkeit eine regelmäßige Überprüfung der Förderwürdigkeit. Ist diese nicht mehr gegeben, soll – um die soziale Durchmischung aufrecht zu erhalten – eine Anhebung des Mietzinses auch im sozialen Wohnbau möglich sein. In dasselbe Horn stößt auch Pisecky: „Lebenslange staatlich geförderte günstige Mieten für Gutverdiener müssen der Vergangenheit angehören. Diese mit Steuergeld errichteten und erhaltenen Wohnungen sollen dem unmittelbaren Wohnbedürfnis dienen - und zwar für jene, die sie tatsächlich benötigen. Die Mieten für Gutverdiener sollen daher angepasst und die zusätzlichen Mittel für die Errichtung weiterer Wohnungen mit günstiger Miete verwendet werden.“

Kein Verkauf von Gemeindewohnungen

Beide Immobilienexperten sind dafür, die dadurch entstandenen Mehreinnahmen zweckgebunden für Wohnbauoffensiven zu verwenden. Eine Forderung, die Wohnbaustadtrat Michael Ludwig schlichtweg abgelehnt, wie auch den Verkauf von Gemeindewohnungen an kaufwillige Mieter. Eines steht bei allen Marktteilnehmern außer Zweifel: Die Preisanstiege auf dem Wohnungsmarkt treffen vor allem jene, die noch nicht bzw. erst seit kurzem mit (eigenem) Wohnraum versorgt sind.

Ansprüche deutlich gestiegen

Doch man kann nicht Birnen mit Äpfeln vergleichen. Eines darf man bei dieser Betrachtung nicht außer Acht lassen. Die Ansprüche ans Wohnen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen, ebenso nimmt die Größe der Wohnungen bei abnehmender Haushaltsgröße zu. Die laufende Wohnstandard-Verbesserung muss bei der Beurteilung der Entwicklung von Wohnkosten berücksichtigt und als Folge gestiegener Qualitätsansprüche verstanden werden, die sich auch in höheren Kosten zeigt.

Nicht überschaubare Fülle an Baugesetzen

Die Schaffung von günstigem Wohnraum gestaltet sich durch eine kaum mehr überschaubare Fülle an Baugesetzen, OIB-Richtlinien und dem rasanten Zuwachs an technischen Standards und Richtlinien immer schwieriger. Diese Entwicklung steht zunehmend im Widerspruch mit der Forderung nach „leistbarem“ Wohnraum, denn das Hochschrauben technischer Standards schlägt sich direkt auf die Wohnkosten nieder. Auch der soziale Wohnbau leidet unter den hohen Auflagen. So erklärt sich, weshalb etwa in Wien der letzte Gemeindebau 2004 fertiggestellt wurde und Wohnbaustadtrat Ludwig im Frühjahr 2014 in den Medien zitiert wird, dass er neue Gemeindebauten „unter den jetzigen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen nicht als sinnvoll“ erachte.

Neues Mietrecht muss her

Die Festlegung der Miete der Wiener Gründerzeitviertel geht auf die frühen siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Zu dieser Zeit waren noch über 50 Prozent der Wohnungen in diesen Gebieten Substandardwohnungen. Viele Bereiche der Gründerzeitviertel sind seitdem längst Trendwohngebiete geworden wie z.B. die Gegend um den Brunnenmarkt oder Westbahnhof. Eine Abschaffung dieser diskriminierenden Regelung ist überfällig.

[caption id="attachment_593" align="alignleft" width="300"](c) sReal Michael Pisecky, (c) sReal[/caption] „Ein neues Mietrecht muss Schluss machen mit der willkürlichen Benachteiligung aus längst vergangenen Tagen. Gründerzeitviertel haben gegenüber den anderen Wohngebieten längst in ihrer Wohnqualität aufgeholt, sie teilweise sogar überholt“

fordert Pisecky. Aufgrund des Alters und der hohen Kosten für Sanierung und Erhaltung der Gebäude ist eine Vermietung vielfach überhaupt erst inklusive eines Lagezuschlages wirtschaftlich. Wien kann aufgrund der prognostizierten hohen Zuwanderungsraten auf diese Flächen nicht verzichten. Die Ungleichbehandlung der Gründerzeitviertel im Mietrecht gegenüber anderer Wohngebiete muss daher rasch beseitigt werden.

Teures Bauen als Preistreiber

Neben den gestiegenen Qualitätsanforderungen erhöhen vor allem die hohen Auflagen an heutige Neubauten, durch eine Flut von Normen, Vorschriften und Standards die Baukosten, wie folgende Abbildung zeigt. Die Wohnausgaben entwickeln sich etwas langsamer als die Baukosten, folgen aber im Wesentlichen deren Entwicklung. Ebenfalls ersichtlich ist, dass die Realeinkommen seit Mitte der 1990iger Jahre in der Entwicklung der Wohnausgaben zurückbleiben.

Zu teure Grundstücke

Viele gemeinnützige Wohnbauträger können sich die Grundstücke nicht mehr leisten. 250 Euro pro Quadratmeter erzielbarer Nutzfläche - das ist seit vielen Jahren die Obergrenze für den Ankauf von Grundstücken für geförderten Wohnbau in Wien. Mehr darf vom Gesetz wegen nicht bezahlt werden. Zieht man Inflation, Grundstücksknappheit, die zunehmende Bodenspekulation und die generell gestiegenen Immobilienpreise in Betracht, fragt man sich mitunter, wie das Baugeschäft für einen gemeinnützigen Bauträger überhaupt noch kostendeckend sein kann.

Gemeinnützige weichen aus

Die Konsequenz: Auch gemeinnützige Wohnbauträger wenden sich dem freifinanzierten Bau zu. So errichtet zum Beispiel das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW), traditionell im Leopold Tower neben dem Shoppingcenter Citygate gemeinsam mit den drei Tochterfirmen Wohnungseigentum GmbH, immo 360° und room4rent mehr als 300 freifinanzierte Wohnungen. Ein Großteil ist bereits vermietet und verkauft. „Will man geförderten Wohnbau sicherstellen, so wird eine Anhebung der 250 Euro unausweichlich sein“, hört man dazu unisono bei den Gemeinnützigen.

Leistungswille nimmt ab

Eins steht für Thomas Rohr, der sich im Vorjahr mit einem Schreiben an 100 Personen des öffentlichen Lebens in Österreich mit neuen Ideen zum Thema „Miet- und Förderungsrecht“, wandte fest: „Die Wirkung der derzeitigen Politik und Gesetze führen auf Dauer in eine immer schwieriger werdende Situation, weil der Staat sich die bisherigen Förderungen von Wohnbau und Wohnhausanierung nicht mehr leisten kann.“ Zudem gebe es eine stete Kostensteigerung und andererseits eine Verminderung der Leistungsfähigkeit und des Leistungswillens der Bevölkerung im Wohnbereich. In einer strengeren Mietpreisregulierung sieht Rohr – wie so viele andere Experten auch - kein Allheilmittel. Dies würde nur einem neuerlichen Schwarzmarkt Tür und Tor öffnen.

Wohnkosten

Niemand achtet auf Kosten

Die Baupreise hätten sich, so kritisiert Rohr, im Laufe von vielen Jahren auf ein bestimmtes („wertgesichertes“) Niveau eingespielt und würden bis zu einer von den Förderungsstellen festgelegten Höhe anerkannt.

Ausschreibungen ohne Wettbewerb

Die staatlichen Auftraggeber oder die gemeinnützigen Genossenschaften veranstalten Ausschreibungen. Die teilnehmenden Unternehmen jedoch kennen diese Fördergrenzen und bieten daher nahe dieser Grenze an. Die einzelnen Institutionen haben ihre Firmen, die sie aus verschiedenen Gründen vorziehen. Gibt es günstigere Anbieter lassen die favorisierten Firmen ebenfalls preislich nach und können sich dann aber durch mehr oder weniger begründete Nachtragsaufträge oder bei anderen Projekten schadlos halten.

Die Anbieter von geförderten Wohnungen würden nicht auf die Kosten achten, weil sie bei der Preisgestaltung nicht die Leistungsfähigkeit eines potentiellen Käufers berücksichtigen müssen. Sie können vielmehr damit rechnen, dass jene Differenz, die sich der Käufer nicht leisten kann, durch die staatliche Förderung ausgeglichen wird. Für Rohr steht damit fest, dass diese Praxis eine systematische wirtschaftsfremde Vorgangsweise darstelle, sodass die Preise im Wohnbau heute um rund 25 Prozent günstiger in der Herstellung sein könnten. Ein echter Preis- und Qualitätswettbewerb wie in der Privatwirtschaft finde nicht statt.


Rund die Hälfte aller Wohnungen in Österreich wird von Eigenheimbesitzern oder Wohnungseigentümern bewohnt. 40 Prozent des österreichischen Wohnungsbestands wird von Hauptmietern bewohnt. Davon entfällt wiederum etwas mehr als die Hälfte der Wohnungen auf den sozialen Wohnbau (gemeinnützige Bauvereinigungen und Gemeindewohnungen), etwas weniger als die Hälfte auf den privaten/gewerblichen Mietwohnungsmarkt. Der private/gewerbliche Mietwohnungsmarkt unterteilt sich vereinfacht wiederum in den „freien“ und den „mietzinsregulierten“ Bereich. Österreichweit stellen gerade einmal 9 Prozent aller als Hauptwohnsitz genutzten Wohnungen private Mietwohnungen, die unter das Regime des Mietrechtsgesetzes fallen, dar, 7 Prozent aller Hauptwohnsitze entfallen auf Mietwohnungen des „freien“ (unregulierten) Marktes.

Gemessen am Mietwohnungsbestand sind 22% aller Hauptmietwohnungen privater Vermieter dem Vollanwendungsbereich des MRG zuzuordnen. Österreichweit entspricht das rund 325.000 Hauptmietwohnungen privater Vermieter (Vermieter = nicht Gemeinde oder GBV) - 224.000 befinden sich davon in Wien. Mit anderen Worten: 7 von 10 privaten Hauptmietwohnungen in Österreich, die dem Regime des Mietrechtsgesetzes unterliegen, befinden sich in Wien.

WieWohntWOe_2012


Warum das Thema „Mieten“ allen voran ein Wiener Thema ist, zeigt die Verteilung des Wiener Wohnungsbestands. 44 Prozent aller Hauptmietwohnungen in Österreich befinden sich in Wien. Hier kehren sich die Verhältnisse förmlich um: 75 Prozent des Wiener Wohnungsbestands entfallen auf Mietwohnungen, weniger als 20 Prozent der Hauptwohnsitzwohnungen werden von Eigenheimnutzern oder Wohnungseigentümern genutzt. Der Bestand der Wiener Mietwohnungen wird vom sozialen Wohnbau dominiert: Mehr als die Hälfte (57 Prozent) aller Hauptmietwohnungen in Wien stellen entweder Gemeindewohnungen dar (30 Prozent) oder werden von gemeinnützige Bauvereinigungen (26 Prozent) vermietet.

Auf den verbleibenden „privaten“ Mietwohnungsmarkt entfallen etwa 40 Prozent der Hauptmietwohnungen (279.000 Hauptmietwohnungen). Der überwiegende Teil dieses Segments (immerhin 80 Prozent) fällt aufgrund des hohen Altbaubestandes in den vom Mietrechtsgesetz regulierten Bereich. Der „freie“ bzw. unregulierte private Mietwohnungsmarkt (Teilanwendung/Vollausnahme MRG) fällt daher in Wien entsprechend gering aus (rund 55.000 Mietwohnungen). Mit anderen Worten: in Wien fallen 8 von 10 privat vermietete Mietwohnungen in den Anwendungsbereich des MRG, nur 2 von 10 in den unregulierten „freien“ Markt.

WieWohntWien_Stammbaum