Digital ist nicht egal

Das digitale Zeitalter schreitet voran und nimmt alle Lebensbereiche Schritt für Schritt ein. Fein, wenn wir auf der bequemen Seite stehen, beängstigend, wenn wir die Veränderungen unseres Lebensstils beachten.

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Das digitale Zeitalter schreitet voran und nimmt alle Lebensbereiche Schritt für Schritt ein. Fein, wenn wir auf der bequemen Seite stehen, beängstigend, wenn wir die Veränderungen unseres Lebensstils beachten.

Welcher Besitzer eines Navigationssystems hat sich zuletzt die haptischen Karten seines Zielortes angesehen, geschweige denn eine Reise geplant und durchdacht? Niemand, das Navi macht das schon. Leider verlernen wir damit die Kunst des Kartenlesens und verwenden auch keine Zeit mehr mit der Planung einer Reise.

Ist da noch wer, der Telefonnummern auswendig kann? Wozu, das Handy kann es sowieso. Die digitale Küche geht für uns einkaufen, der Pflegeroboter pflegt unsere alten Angehörigen, unser Google-Mobil chauffiert uns, wohin wir wollen (hoffentlich) und einen Arbeitsplatz haben wir nur dann, wenn unser Tätigkeitsfeld noch nicht digitalisiert ist, bzw. – noch besser – nicht digitalisierbar ist. Zukunftsmusik? Nein – alles bereits machbar, im Weg stehen nur wir und die unfertigen Marketingkonzepte, die uns das alles so verkaufen, dass wir es annehmen und verwenden.

Bei Industrie 4.0 und was man darunter auch alles verstehen mag, ist eine hochwertige Ausbildung, exzellentes Wissen bzw. strategisches und mutiges Denken und Handeln für eine Nicht-Digitalisierbarkeit Voraussetzung. Sie handeln nur nach Regeln, übernehmen keine Eigeninitiative? Sie scheuen Verantwortung und Risiko und schätzen es sehr, wenn andere, am besten Gutachter, die Entscheidungen für Sie treffen? Sie vermeiden Kundenkontakt, scheuen sich vor Verkaufstätigkeiten und mit Mitarbeitern kommunizieren Sie ausschließlich faktenbasiert, aber nie persönlich? Oh je, die Artificial Intelligence wartet schon darauf, Ihre Tätigkeit zu digitalisieren und Sie in Arbeitslosigkeit und Mindestsicherung abzuschieben.

Digitalisiert wird, was digitalisierbar ist, Sinnhaftigkeit steht nicht im Mittelpunkt. Auswirkungen auf Sozialsysteme, die Entwicklung der Gesellschaft, strategische Aspekte stehen hinten an, wenn es darum geht zu zeigen, was uns der Computer alles abnehmen kann. Und das Kostenargument schlägt alles, leider nie aus strategischer Sicht, sondern oft nur als Blitzlicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch – viele Errungenschaften der Digitalisierung sind großartig, ermöglichen uns einen besseren Blick auf das Ganze, Verbessern unsere Entscheidungen und erleichtern unseren Alltag. Unwohl fühle ich mich dabei, dass vieles davon nicht strategisch, sondern unkritisch und technikhörig verfolgt wird. Folgekosten werden nicht einmal ansatzweise erhoben, Funktionsfähigkeit wird vorausgesetzt, obwohl uns simpelste digitale Routinen, von globalen Konzernen bestmöglich programmiert, zeigen, dass nie alles und immer funktioniert.

Bei vielen Themen der Digitalisierung sollten strategische Fragen gleichrangig gestellt werden wie Technikfragen. Bei der Navigation hat sich Europa auf Galileo verständigt und irgendwann werden unsere Navis in Europa Galileo statt US-GPS nutzen. Gut und sinnvoll. Bei Industrie 4.0? Was ist mit den Menschen, die keine hochrangige Ausbildung haben bzw. nicht die Fähigkeiten dazu haben? Pech gehabt oder es wird schon irgendwie oder das dauert noch oder das wird alles nicht so arg? Oder sollten wir doch heute – solange der Hut noch nicht brennt – die Zukunft ernsthaft diskutieren, vom Steuersystem über das wackelnde Sozialsystem bis hin zu Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung?

Eines ist aber uneingeschränkt positiv bei der Digitalisierung: Menschen, die sich schwer tun, mit Menschen zu kommunizieren, können es jetzt über Computer und Netz. Es müssen ja keine Hasspostings sein, es geht auch ganz normal. Und hier sehe ich auch ein großes Thema für die Immobilienwirtschaft: Kommunikationsmöglichkeiten schaffen, die Bildung von Gemeinschaften ermöglichen, gemeinsame Aktivitäten fördern – alles Themen, die der sozialen Nachhaltigkeit auch in der Immobilienwirtschaft Raum geben, im Wohnbau wie auch bei gewerblichen Objekten. Lassen Sie die Menschen mit der Digitalisierung nicht allein.