Positionen & Meinungen ESG bringt Herausforderungen für die Immobilienbranche

Alexander Hellmuth, Senior Manager bei EY Real Estate im Interview über das brandaktuelle Thema.

von 4 Minuten Lesezeit

ESG bringt Herausforderungen für die Immobilienbranche

Welche Fragen müssen sich Unternehmen in Bezug auf ESG stellen? / Welche Tipps zur Formulierung von ESG-Zielen geben Sie? 

Bis heute begehen immer noch viele Unternehmen den Kardinalfehler, Nachhaltigkeit als Gegenpol zur Rendite zu betrachten. Das ist einerseits deshalb falsch, weil nachhaltige Faktoren durch Regulatorik zunehmend eingepreist werden. Wenn etwa CO2-Emissionen Kosten verursachen, dann haben sie direkten Einfluss auf die Rendite; weniger Nachhaltigkeit bedeutet dann mehr Kosten und eine geringere Rendite. Andererseits ist es auch falsch, weil der Nachfragedruck nach nachhaltigen Produkten auf Anlegerseite wächst und sich künftig in höheren Werten niederschlagen wird. Die richtige Frage, die sich Unternehmen stellen sollten, ist die nach der besten Rendite durch nachhaltiges Wirtschaften und nicht die nach Rendite oder Nachhaltigkeit.   

Wie sollen Unternehmen das Thema am besten angehen? 

Wichtig ist, dass Unternehmen die nachhaltige Transformation strategisch und bedacht angehen und kein Flickenteppich von Einzelmaßnahmen entsteht. Mit einer ESG-Strategie werden messbare Indikatoren aufgestellt, anhand derer Maßnahmen ergriffen werden können, die dann in Hinblick auf definierte Ziele gemessen, bewertet und gegebenenfalls angepasst werden können. Nur so lässt sich eine konkrete Steuerungsfähigkeit erreichen. 

Nachhaltigkeit ist nicht als Gegenpol zur Rendite zu betrachten.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Bereich ESG? Was ist unbedingt notwendig/zu beachten? 

Digitalisierung ist für den Bereich ESG absolut erfolgskritisch. Es geht im Grunde immer um Datenerhebung, Messung und entsprechende Schlussfolgerung, die in Entscheidungen oder Maßnahmen münden. Wenn ein Unternehmen im Jahresrhythmus ein Nachhaltigkeitsreporting publiziert oder ein Zertifikat erwirbt, dann funktioniert das – wenn auch mit immensem Aufwand – vielleicht noch mit herkömmlichen Mitteln. Wenn das Unternehmen aber gewissermaßen im Tagesgeschäft in Hinblick auf ESG-Kriterien geführt werden soll, wenn jederzeit wichtige Management-Entscheidungen davon beeinflusst sind, dann muss das Unternehmen auch in sehr hoher Frequenz aktuelle Daten erheben, messen und auswerten können. Und das funktioniert nur mit digitaler Technologie. 

Nennen Sie konkrete Beispiele wie Digitalisierung in diesem Bereich Nutzen bringt. 

Beispiel Betrieb: Sensorik kann die Flächenauslastung, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit und CO2-Sättigung messen, alles im Verhältnis zueinander analysieren, darauf basierend automatisch Beleuchtung, Belüftung sowie Klimatisierung steuern und so Energie sparen, wo vorher dauerhaft das Licht brannte und die Heizung bei geöffnetem Fenster durchlief.   

Beispiel Transaktion: Sie stehen vor einer Ankaufsentscheidung. Welchen Einfluss hätte der Ankauf auf die Portfolioperformance? Erfüllt das Portfolio noch seine Emissionsziele? Werden die CO2-Kosten über den gesamten Verlauf der langfristigen Haltedauer zu hoch? Das sind Fragen, die man sich beim Ankauf heute stellen muss, deren Beantwortung ohne digitale Technologie aber Wochen dauert.   

Beispiel Asset Management: Ein Portfolio soll weniger Emissionen verursachen. Dafür gibt es ein bestimmtes Budget. Was machen Sie: Alle Gebäude dämmen? Aber jede Immobilie ist einzigartig? Vielleicht benötigen manche bessere Dämmung, andere aber eine neue Heizung oder Beleuchtung. Bei mehreren hunderten Gebäuden einen Maßnahmenmix zu finden, der einerseits die Emissionen minimiert, gleichzeitig die Rendite maximiert – so etwas schafft man nicht mit dem Taschenrechner.

Für den Großteil der Unternehmen stellen die ESG-Kriterien und neuen regulatorischen Vorgaben hilfreiche Leitplanken dar.

Rund 35 Prozent des Gesamtenergiebedarfs entfallen auf den Gebäudesektor, kommen die ESG-Richtlinien zu spät? 

Nein, unser Leben findet nun mal überwiegend in Gebäuden statt. Der Gebäudesektor wird prozentual also immer einen hohen Energiebedarf haben. Es geht auch nicht nur darum, den Energieverbrauch zu senken, sondern ihn nachhaltiger zu gestalten. Sicher ist es immer besser mit großen Aufgaben früher als später anzufangen. Einzelne Vorreiter gab und gibt es auch in der Immobilienwirtschaft. Für viele war die Thematik aber bislang schlecht greifbar und selbst mit den besten Absichten kaum in konkrete Handlungen umzusetzen. Für den Großteil der Unternehmen stellen die ESG-Kriterien und neuen regulatorischen Vorgaben dadurch sehr hilfreiche Leitplanken dar, an denen man sich erstmals gut orientieren und messen kann.   

Welche kurzfristigen/langfristigen Veränderungen wird ESG in der Immobilienwirtschaft mit sich bringen? 

Wir erleben schon jetzt, dass sich die Nachfrage hin zu nachhaltigen Anlagen verschiebt. Für die Immobilienwirtschaft wird die Thematik also immer wichtiger. Die Regulatorik tut ihr übriges und verstärkt diese Verschiebung noch. Unsere Branche muss jetzt aktiv werden, auch wenn sich in der kurzen Frist für den einen oder anderen erstmal gar nicht viel zu verändern scheint.

Sind Immobilien sind nur mit ESG zukunftssicher? 

In der professionellen Immobilienwirtschaft scheint alles darauf hinauszulaufen, ja. Außer jemand nimmt höhere Kosten im Bestand und Preisabschläge bei einer zukünftigen Veräußerung in Kauf.

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