„Gelobt sei“ ist ein Irrweg, oder?

Unbestritten ist es das Privileg des kirchlichen Oberhauptes, sich um die Seelen zu sorgen und relevante Themen der Menschheit anzusprechen.

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Unbestritten ist es das Privileg des kirchlichen Oberhauptes, sich um die Seelen zu sorgen und relevante Themen der Menschheit anzusprechen. Papst Franziskus liefert in seiner jüngsten Enzyklika eine wunderbare Ist-Analyse: von den Arbeitsbedingungen von Textilarbeitern aus Bangladesch, die unter erbärmlichen Bedingungen schuften müssen, bis zu gehetzten Managern in unseren Breitengraden oder der Unmöglichkeit des Glücks für Leute, die ganz von Interessen okkupiert sind. Ich vermisse aber die positiven Errungenschaften.

Trotz aller Missstände und Probleme hat unsere westliche Gesellschaft auch viel Gutes geschafft: Menschen sind gebildeter, wir leben länger, müssen oftmals weniger hart arbeiten, der Hunger ist in vielen Regionen kaum mehr ein Thema.

In der Enzyklika steht das Wirtschaftssystem generell und die private Lebensweise von jedem von uns im Zentrum der Kritik. Sicherlich zurecht, wie das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte und die daraus resultierenden ökologischen Katastrophen zeigen. Das Dokument sieht einen radikalen Bedarf an Umkehr und Änderung. Konkret empfiehlt der Papst eine Abkehr von Öl und Kohle, den Verzicht auf Konsum, eine Einkommensumverteilung von Nord nach Süd, eine radikale Weltklimapolitik und eine bäuerliche Landwirtschaft.

Diese Analyse wird von vielen in der öffentlichen Diskussion geteilt und ist Balsam auf den Anstrengungen von so vielen Überzeugungstätern und Vordenkern. Nicht wegzudiskutieren ist, dass derzeit vieles nicht richtig läuft. Wir brauchen eine nachhaltige Revolution.

Fortschrittsbehinderer oder Fortschrittsmacher

Spannend ist es, den Kern der Enzyklika zu erforschen. Darin findet sich eine deutliche Absage an das moderne Weltbild, wonach der Mensch die Welt zu seinem Nutzen gestalten solle. Die Enzyklika zeigt eine klare Trennlinie zwischen dem Menschen, der forscht und wirtschaftet, und der Natur, bestehend aus Flora und Fauna, die dem Menschen derzeit als Rohstoff dient und ausgebeutet wird. Die Ursünde ist das anthropozentrische Weltbild, das den Menschen im Mittelpunkt sieht. Diese Kritik ist erschreckend und verstörend – wie gehen wir mit folgenden Fragen um? Zuerst war es doch unser Verständnis, dass sich der Mensch „die Erde untertan machen soll“ ohne das Bewahren zu vergessen? Sind wir, dem Dokument folgend, angehalten, einen radikalen Wandel vorzunehmen? Wie können wir bei uns selber beginnen?

Der Papst hat eine durchwegs pessimistische Sicht auf die Globalisierung, den technischen Fortschritt, auf Unternehmen oder die Marktwirtschaft. Er legt (mit einigen Ausnahmen) klar und unmissverständlich fest, dass die lebendige Beziehung zur Natur verlorengegangen ist und wir Handlungsbedarf haben.

Gerade diese Zuspitzung auf die zentrale Aussage liefert eine eingeengte, geradezu totalitäre Sichtweise. Kritisiert wird unser Wirtschaftssystem, seine liberale Ordnung mit den zentralen Eigenschaften von Eigentum, Verantwortung und Freiheit. Franziskus zeichnet ein negatives Bild und bringt die schlechten Seiten ans Tageslicht: Ungleichheit des Besitzes, Land in den Händen weniger, Konzerne, die das Wasser kommerzialisieren sowie die Rohstoffe ausbeuten und Menschen, die unmenschlich arbeiten. Vielleicht ist diese Sichtweise auch durch seine südamerikanische Herkunft geprägt. Vielleicht ist die Verantwortung für Eigentum, welches ermöglicht, dass Menschen sorgsam zB mit ihrem Boden oder dessen Rohstoffen umgehen, zu wenig beleuchtet.

Die Enzyklika ist voll von negativen Beispielen, die einem die Hoffnung auf Rettung im jetzigen System nehmen. Meinen persönlichen Ansatz, die Probleme mit kluger Kreislaufwirtschaft oder technischem Fortschritt mittels Innovationen lösen zu wollen, ohne den Lebensstandard zu senken, verneint der Papst. Im Gegensatz dazu finden sich Schlagworte wie „Verzicht“ und „Gemeinwohl“ oder „irrationales Vertrauen auf den Fortschritt“. Für den Papst führt das Eingreifen des Menschen in die Natur in einen Teufelskreis. Deutlicher geht es nicht mehr!

Der wirtschaftliche Liberalismus (symbolisiert durch Adam Smiths „unsichtbare Hand“) wird in einem Atemzug genannt mit Krankheit, Zwangsarbeit, Sklavenhaltung oder Kindesmissbrauch. Kein gutes Wort auch für die Großstadt. „Verkehrsprobleme, visuelle und akustische Belästigung, Gefüge, die übermäßig viel Energie und Wasser verbrauchen, verstopft, ungeordnet, wesenfremd und naturentfremdet“ fällt dem Papst dazu ein. Wie alle Punkte kommen auch diese Wertungen ohne Diskussion aus, ohne Abwägung und Belege. Der Papst lässt die Fakten beiseite: So gibt es seriöse Studien, die sagen, der ökologische Fußabdruck eines Städters sei viel kleiner als jener der Landbevölkerung. Und: Wir brauchen Städte, damit alle Menschen auf dieser Welt ein Zuhause haben.

Die Position von Papst Franziskus lässt sich mit seinem Vorbild, dem heiligen Franziskus, erklären. Dieser radikale Aussteiger, der im Konflikt mit seinem Kaufmannvater am Ende mit Blumen und Schnecken sprach, wird in der Enzyklika oft erwähnt, zum Beispiel beim Sonnengesang: „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde.“ Somit werden hier vorindustrielle Zeiten verklärt, als sich „der Mensch und die Dinge“ noch „freundschaftlich die Hand“ gereicht haben. Die Rückkehr dahin ist eine schreckliche Vorstellung. Die Diskussion dazu ist eröffnet und alleine dafür sei Dank.