Positionen & Meinungen Nehmen wir den Klimawandel genauso ernst wie die Pandemie

Als Gutachter haben wir jeden Tag mit großen Summen zu tun, und können die Auswirkungen beim Einsatz derselben jeden Tag verfolgen. Ganz anders ist das bei den Summen, die von uns (allen) derzeit eingesetzt werden.

von 4 Minuten Lesezeit

Nehmen wir den Klimawandel genauso ernst wie die Pandemie

Was würde passieren, wenn die Politik den Klimawandel genauso ernst nehmen würde wie zum Beispiel eine Pandemie? Die Politik hat uns die letzten Monate gezeigt, dass man, anders als in der Immobilienbranche, ohne Fachwissen und Hintergrundinformation in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld bereitstellen kann. Es ist ganz offensichtlich: Wenn es darauf ankommt, und die Bereitschaft dazu da ist, dann können innerhalb von Stunden einige Milliarden an Staatshilfen lockergemacht werden. 

Und wofür eigentlich? Für das Überleben unserer Wirtschaft? Für ein paar tausend Tote weniger in der Statistik? Für eine bessere Arbeitslosenquote? Nein, im Wesentlichen dafür, damit wir nachher so leben können wie vor der Pandemie. Nicht besser, nicht anders, nur weiter. Und wer wird das alles bezahlen? 

Die Kabarettszene hatte als erste eine Antwort darauf: Leute, die wir nie kennenlernen werden! Weil sich das auch für unsere Enkel nicht ausgehen wird. Wer da noch Skepsis hat, möge sich bitte die Staatsverschuldung ab dem Jahr 1970 ansehen, und die bisherigen Bemühungen diese im Laufe der Jahrzehnte wieder in den Griff zu bekommen. 

Zwar scheint es Ansätze zu geben, wie zum Beispiel die „Modern Money Theory“, um diese aber tatsächlich als Lösung zu akzeptieren, müsste man auch an das Christkind glauben.

Die Kosten steigen und steigen

Es scheint aber jedenfalls Einigkeit darüber zu geben: Je länger wir uns mit dieser Krise herumschlagen müssen, desto höher werden die daraus entstandenen Kosten sein. Eine Binsenweisheit, die aber natürlich für jede Krise  Geltung hat. 

Deswegen sei die Frage erlaubt: Wieso gibt man das Geld für die eine Gesundheitskrise (aka Pandemie) sehr leichtfertig aus, für die andere Gesundheitskrise aber seit Jahren nicht (aka Klimawandel)? Immerhin sind die Auswirkungen und Anforderungen der zweiteren auch schon recht lange bekannt, und Klimaforscher warnen uns seit Jahrzehnten vor den Folgen der Erd­erwärmung.

Politisch unpopulär

Die Antwort ist so einfach wie unbefriedigend: Die Maßnahmen im Zuge der Pandemie lassen sich innerhalb einer Legislaturperiode politisch gut verwerten. Die Aktionen im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind eine Investition in die Zukunft, und diese dauert deutlich länger als eine Legislaturperiode. Und die Maßnahmen hierfür sind unbequem, unpopulär, zeitlich kaum abzugrenzen und kosten auch noch jede Menge Geld. 

Die Immobilienbranche ist seit jeher eine, in der langfristige Überlegungen eher zum Ziel führen, deshalb fällt es ihr auch so schwer Derartiges zu akzeptieren. 

Die Klimakrise hat jedoch den Vorteil, dass genau bekannt ist, was zu tun wäre, ganz anders als bei der Pandemie. Letztere zeigt aber zumindest, wie wichtig es wäre, dass politische Entscheidungen anhand wissenschaftlicher Fakten gefällt werden. Das Thema wurde ja bereits umfassend erörtert, es besteht breiter Konsens darüber, was geschehen müsste: Mobilitätskonzepte überdenken, mehr Öffi-Angebote, mehr Radwege, weniger Flächenversiegelung, mehr Grün in der Stadt, die Zersiedelung stoppen, Photovoltaik, Windkraft, nachhaltige Energie, weniger Kunststoffe und so weiter. 

Klare Zielvorgaben wären da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Bis zum Sommer sind alle durchgeimpft“ ist da genauso wenig ausreichend wie „Bis 2050 haben wir die Energiewende geschafft“. Im Überlebensmarathon haben wir für die ersten zwei Kilometer den Großteil des Geldes ausgegeben und versuchen jetzt mit dem kläglichen Rest auf den verbleibenden 40 Kilometern auszukommen. So gesehen habe ich Zweifel, ob die Lernkurve der Politik steil genug ist und die Epidemiologen das Staffelholz rechtzeitig an die Klimaforscher übergeben … 

Wolfgang M. Fessl ist Spezialist für Einzelhandels- und Sonderimmobilien und verfügt über langjährige Erfahrung in der Immobilienbranche. Vor seiner Tätigkeit bei der Reinberg Gruppe war er als Head of Asset-Management bei der conwert und der Immofinanz. Sein Fokus lag auf großvolumigen Bestandsportfolien und Retail­immobilien. Insgesamt verfügt Wolfgang Fessl über mehr als 20 Jahre Erfahrung im nationalen und internationalen Immobiliengeschäft. Fessl ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Immobilientreuhänder (Makler), Member der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), zertifiziert nach CIS Immozert und Recognised European Valuer (REV).

Verwandte Artikel