Urban Sprawl - was tun?

In kommunalpolitischen Diskussionen lässt sich mit zwei Begriffen so ziemlich alles desavouieren: „Gentrification“ und „Urban Sprawl“.

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In kommunalpolitischen Diskussionen lässt sich mit zwei Begriffen so ziemlich alles desavouieren: „Gentrification“ und „Urban Sprawl“. Beide stammen aus dem Englischen und sind flexibel einsetzbar. Sie klingen böse und gefährlich und keiner kann ganz genau sagen, was damit gemeint ist. Die deutschen Versionen helfen wenig. Denn „Gentrification“ wird einfach als „Gentrifizierung“ eingedeutscht und „Urban Sprawl“ ziemlich unvollkommen mit „Zersiedlung“ übersetzt.

In vielen Texten über Urban Sprawl findet sich das Bonmot, es sei wie Pornographie: Schwer zu definieren, aber man erkennt es, wenn man es sieht. Das illustriert auch sehr schön die zwei gewichtigsten Probleme mit diesem Begriff: Erstens, er wird negativ bewertet, und zweitens kann jeder da drunter packen, was ihm an der Entwicklung der Stadt nicht passt: Verlust an landwirtschaftlichen Flächen, eintönige Siedlungsgebiete, lange Fahrzeiten, Verkehrsstaus, geringe Dichten, Verlust der Nahversorgung, eintönige Architektur, usw. Die Frage, warum denn die Politik nichts dagegen unternimmt, wenn sich der stadtentwicklerische Gott-sei-bei-uns so klar identifizieren lässt, treibt den kommunal Verantwortlichen den Angstschweiß auf die Stirn. Denn sie wissen meistens genau: Der Kampf gegen Urban Sprawl gleicht dem gegen Windmühlen.

Warum das so ist, lehrt uns die Stadtökonomik. Sie untersucht die Frage, wo in der Stadt sich die Menschen zum Wohnen ansiedeln und wieviel Wohnraum sie dafür beanspruchen. Um das Problem zu vereinfachen, werden alle Aktivitäten außer dem Wohnen im Stadtzentrum – dem Central Business District (CBD) – konzentriert, wohnen können die Menschen nur außerhalb des CBD. Jeder Haushalt steht nun vor dem Problem, sein Einkommen aufzuteilen zwischen (1) den Ausgaben fürs Wohnen, (2) den Pendelkosten (Fahrt in den CBD) und (3) den sonstigen Gütern, die er noch haben will. Pendelkosten und Ausgaben fürs Wohnen hängen davon ab, in welcher Entfernung vom CBD sich der Haushalt ansiedelt. Geht er weiter weg vom Zentrum, so steigen die Pendelkosten, nehmen aber auch die Bodenpreise ab. Dadurch kann sich der Haushalt in größerer Entfernung vom CBD mehr Wohnfläche leisten, was er, ebenso wie mehr der sonstigen Konsumgüter, präferiert.

Die Haushalte konkurrieren um die Standorte dadurch, wieviel sie dort zu zahlen bereit sind. Der mit der höheren Zahlungsbereitschaft verdrängt den mit der niedrigeren. Weil Haushalte mit hohem Einkommen die Pendelkosten leichter schultern können und größere Wohnungen haben wollen, siedeln sie sich weiter draußen in der Stadt an als die ärmeren, die nahe am CBD leben. Die funktionale Grenze der Stadt liegt dort, wo die Haushalte nicht einmal mehr den landwirtschaftlichen Bodenpreis zu zahlen bereit sind.

Für Sprawl wird es interessant, wenn sich etwas ändert. Steigen die Einkommen, so will sich jeder Haushalt eine größere Wohnung leisten und weiter vom CBD wegziehen. Das Ergebnis ist Urban Sprawl: die Stadt wächst ins Umland, wird gleichförmiger, die Fahrzeiten steigen. Ursache sind steigende Einkommen und optimierende Entscheidungen der Menschen. Bei keinem kann der Politiker massiv eingreifen, ohne die Menschen zu vergrämen. Was ihm bleibt, sind die Windmühlen und tapfer dagegen zu kämpfen.