Wenn die Masse kauft

Crowdfunding ist nach Ansicht von Experten nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr wird über die Masse finanziert, zunehmend auch Immobilien. Die Spielregeln sind klar und eindeutig. Wer sich allerdings nicht an die Regeln hält, hat ganz schlechte Karten in diesem enorm boomenden Markt.

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Crowdfunding ist nach Ansicht von Experten nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr wird über die Masse finanziert, zunehmend auch Immobilien. Die Spielregeln sind klar und eindeutig. Wer sich allerdings nicht an die Regeln hält, hat ganz schlechte Karten in diesem enorm boomenden Markt.

Seit rund vier Jahren leidet der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien unter einer beispiellosen Dürre. Der erste Schritt war eine Einsparung des Wasserverbrauchs, aber auch das wird langfristig nur eine beschränkte Lösung sein. Jetzt ließ der Schauspieler William Shatner – bekannt als Captain Kirk aus der Serie Raumschiff Enterprise – aufhorchen. Über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter will der 84-jährige versuchen, 30 Milliarden Dollar für den Bau einer Süßwasserpipeline aufzustellen. Die Pipeline soll vom regenreichen Norden in die trockenen Gebiete Kaliforniens führen. Üblicherweise bewegen sich die auf Kickstarter präsentierten Projekte in Bereichen deutlich unter einer Million Dollar.

Der Schauspieler meint seinen Vorschlag zwar ernst, bleibt aber realistisch. 30 Milliarden Dollar sind sehr viel Geld und für Crowdfunding-Plattformen eine noch nie da gewesene Dimension, aber Shatner ist ja schon mit „seinem“ Raumschiff in Galaxien vorgedrungen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Wie so oft ist es vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis sich auch solche Projekte umsetzen lassen.

100.000 bis 25 Millionen Dollar

Bis dato bäckt man noch kleinere Brötchen. Laut dem „Crowdfunding Real Estate Report 2014“ der US-Firma Massolution, ein Unternehmen, das sich auf Research und Beratung im Bereich „Crowdfunding“ spezialisiert hat, lagen die Summen der Projekte im vergangenen Jahr zwischen weniger als 100.000 Dollar und knapp über 25 Millionen. Das Potential dieser alternativen Finanzierungsform zeigt sich aber in der Wachstumsrate von 156 Prozent weltweit für Immobilien-Crowdfunding. 2014 wurde die Milliardenmarke geknackt. 2015 rechnet das Unternehmen damit, dass in den USA Immobilien um 1,4 Milliarden per Crowdfunding finanziert werden, und auch in Europa könnte dieses Jahr mit einer Milliarde Dollar ein sensationelles Ergebnis verzeichnet werden. Das wäre eine weitere 150-prozentige Steigerung. Damit wäre Immobilien-Crowdfunding eines der schnellst wachsenden Segmente im Bereich alternative Finanzierung.

Wohin sich der Markt noch bewegen kann, sieht man, wenn man den Gesamtmarkt für Crowdfunding betrachtet. Die Experten von Massolution Research rechnen damit, dass sich das gesamte weltweite über Crowdfunding aufgebrachte Volumen 2015 auf 34,4 Milliarden US-Dollar erhöhen und sich damit gegenüber 2014 (Volumen von 16 Milliarden Dollar) mehr als verdoppeln wird. Schon 2014 hat sich das Volumen gegenüber dem Jahr 2013 (6,1 Milliarden US Dollar) verdreifacht. Das starke Wachstum im vergangenen Jahr ist zum großen Teil durch die Zunahme der Aktivitäten im asiatischen Raum bedingt.

Beteiligung für alle möglich

Einen wesentlichen Grund für diesen enormen Aufschwung erklärt die österreichische Crowdfunding Expertin Elfriede Sixt: „Crowdfunding führt zu einer Demokratisierung und es können plötzlich viele Leute in Unternehmen oder Immobilien investieren, was ihnen vorher nicht möglich war und nur einer ausgewählten Schicht vorbehalten blieb.“ Schon mit zweistelligen Eurobeträgen ist man dabei und kann damit sein Geld besser splitten. Und die Investoren können selbstbestimmt entscheiden, in welche Projekte sie ihr Vermögen investieren. Der Faktor „Selbstbestimmung“ ist einer der ganz wesentlichen für die junge Internet-Generation. Ein weiteres schlagendes Argument: Auf der Bank gibt es ohnehin keine Zinsen mehr. Die Renditen selbst sind von den einzelnen Projekten abhängig.

Esposti, Carl 02_bearb"Crowdfunding ermöglicht den Sprung weg von alten Eigentumsmodellen hin zu neuen Konzepten und Marktplätzen auf der ganzen Welt." - Carl Esposti, CEO von Massolution

Österreich und Europa

Während Crowdfunding in Österreich erst in den Startlöchern steht, sind in anderen europäischen Ländern schon zahlreiche Plattformen im Netz. Insgesamt ist der europäische Markt für alternative Finanzierungen 2014 um 144 Prozent auf 2,96 Milliarden Euro gewachsen. Georg von Pföstl, Geschäftsführer Financial Services Advisory bei EY Österreich: „Alternative Finanzierungsformen verzeichnen in einigen Ländern Europas spektakuläre Wachstumsraten. Allerdings müssen diese vor dem Hintergrund des niedrigen Ausgangslevels betrachtet werden.“ Das aber rasant steigt, denn für 2015 wird ein Zuwachs auf über sieben Milliarden Euro erwartet.

Großbritannien an erster Stelle ...

Am stärksten verankert sind alternative Finanzierungsformen mit Abstand in Großbritannien: 2014 wurden hier rund 2,34 Milliarden Euro – und damit 80 Prozent des europäischen Gesamtvolumens – lukriert. Mit großem Abstand folgen Frankreich (154 Millionen Euro), Deutschland (140 Millionen Euro), Schweden (107 Millionen Euro) und die Niederlande (78 Millionen Euro). Das ist das Ergebnis der ersten europaweiten Analyse von alternativen Finanzierungen, dem „Moving Mainstream: The European Alternative Finance Benchmarking Report“. ?Die von der international tätigen Prüfungs- und Beratungsorganisation EY in Zusammenarbeit mit dem „Cambridge Centre for Alternative Finance“ durchgeführte Studie beinhaltet die Daten von 16 Ländern und 255 führenden Online-Plattformen in Europa. Damit deckt die Erhebung 85 bis 90 Prozent des europäischen Marktes ab. Zu dem Österreich zwar geografisch gehört, aber nicht wirklich mitgespielt.

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... Österreich weit hinten

Österreich belegt bei alternativen Finanzierungen über Online-Plattformen europaweit einen der hinteren Plätze: Insgesamt wurden im vergangenen Jahr lediglich 3,6 Millionen Euro an Kapital lukriert. Damit haben die Österreicher pro Kopf nur 0,4 Euro zur Verfügung gestellt. Zum Vergleich: Der europäische Schnitt liegt bei 5,1 Euro, die Bürger Großbritanniens haben im letzten Jahr durchschnittlich 36 Euro alternativ investiert.

Der große Vorsprung des Vereinigten Königreichs erklärt sich auch durch die Anzahl an Online-Plattformen: Im UK gibt es davon 65 und damit fast doppelt so viele wie im zweitplatzierten Spanien, das auf 34 Plattformen kommt.

Trotz dieser massiven Zunahme befindet sich Crowdfunding erst im Promillebereich, wenn man vergleicht, welche Summen Banken eigentlich umsetzen. „Die alternativen Finanzierungen beginnen aber, wenn auch derzeit noch begrenzt, den Banken immer mehr wegzuknabbern“, erklärt Steven Cinelli, leitender Wissenschaftler bei Massolution Research. Dass es mehr wird, daran besteht kein Zweifel. Die Banken wurden und werden im Zuge der Finanzkrise von den Menschen immer kritischer betrachtet. Zudem sind die Zinsen der Banken nicht nur schlecht, sondern auch unsicher. Da lockt ein Angebot mit 4-6 Prozent Rendite schon eher – vor allem bei einem geringen Einsatz und der Möglichkeit des Splittens.

Crowdfunding für Immobilien

Zurück zu den Immobilien. Finanziert wird weltweit praktisch alles, was sich finanzieren und für die Crowd als Investitionsobjekt darstellen lässt. Speziell aber erwarten die Experten von Massolution, dass sich die Nachfrage nach Retail- und Industrieimmobilien gleich um 250 Prozent steigern könnte. In England, Holland oder Deutschland gibt es dafür entsprechende Anbieter, wie zum Beispiel die beiden englischen Plattformen www.propertycrowd.com, www.apieceoflondon.co.uk oder die deutschen exporo.de, companisto.com oder kapitalfreunde.de. Die Massolution–Researcher haben bei ihren Erhebungen festgestellt, dass dank der Technik und des Internets immer mehr globale Immobilien-Plattformen entstehen. Wenn man die kurze Zeit bedenkt, in der sich diese Anlageform entwickelt hat – natürlich auch auf Grund der immer besseren Technik – dann sieht man das unglaubliche Potential dieses Marktes.

Die Experten sprechen hier von einem absoluten Zukunftsmarkt, jenseits eines „Trends“. Carl Esposti, Gründer und CEO von Massolution, formuliert es so: „Der Schnittpunkt zwischen Immobilie und Crowdfunding ermöglicht einen enormen Sprung weg von den alten Eigentumsmodellen hin zu neuen Konzepten und Marktplätzen auf der ganzen Welt. Investoren auf der ganzen Welt haben die Chance zu profitieren.“

PICKEN Scott_bearb"Plattformen haben durch Stammkunden Chancen auf geringeres Risiko und nachhaltiges Wachstum." - Scott Picken, Gründer und CEO von Wealth Migrate

Das eigene Crowdfunding-Portfolio

Die fortgeschrittenen und etablierten Plattformen in Europa und vor allem in den USA haben mittlerweile schon begonnen, ihre eigenen Portfolios zu entwickeln. Die Crowd muss nicht mehr das Netz durchforsten, um das zu veranlagende Kapital zu streuen, sondern kann sich auf der Webseite ihres Vertrauens ein eigenes Portfolio zusammen stellen. Bei den besonders fortschrittlichen Plattformen bekommt der Kunde beim Öffnen der Webseite nicht neue Projekte präsentiert, sondern sein bis dato erstelltes Portfolio und den aktuellen Status quo der einzelnen Projekte – dann geht es erst weiter zu den neuen Projekten. Die etablierten, professionellen Betreiber haben die Erfahrung gemacht, dass Kunden wieder bei ihnen „einkaufen“, wenn die angebotenen Projekte passen und vor allem das Angebot transparent ist. Transparenz ist überhaupt eines der zentralen Themen für die Investoren.

Je transparenter und übersichtlicher, desto mehr Kunden – beziehungsweise desto besser die Kundenbindung. Die Plattformen selbst haben durch „Stammkunden“ die Chance auf „geringeres Risiko und nachhaltiges Wachstum“, so Scott Picken, Gründer und CEO von Wealth Migrate, einer der weltweit Top 10 Immobilien-Crowdfunding-Plattformen. In die Gegenrichtung geht es aber auch: Wer nicht transparent ist und/oder mit falschen Tatsachen wirbt, der ist schnell weg vom Fenster. „Es gibt kaum eine kritischere Kudenschicht als die Crowd. Im Internet kann ein einzelner Kunde für sehr viel Unruhe sorgen. Die Kommunikation ist schneller, spontaner und direkter und so ein Shitstorm kann zum Beispiel einem Plattformbetreiber viele Schwierigkeiten bereiten“, erklärt Sixt.

Blick in die Zukunft

Stand die Idee des Kaufens und Verkaufens – also die eigentliche Form einer Finanzierung – anfangs im Vordergrund, so zeichnet sich international auch die Strategie des „Buy and hold“ ab. Kaufen und im Bestand halten, sprich vermieten. Neuerdings beginnen sich auch Großinvestoren für diese Form der Finanzierung und Kundengewinnung zu interessieren.

Heute geht es zwar „noch“ um Immobilien, aber der Vorstoß des Schauspielers William Shatner mit der Pipeline für Kalifornien zeigt bereits in Richtung Infrastrukturprojekte. Was dem Crowdfunding einen weiteren Schub verpassen wird, ist die Tatsache, dass die junge Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, die Spielregeln innerhalb des Systems besser versteht. Es ist zu erwarten, dass diese Form des Investments noch weite Kreise zieht und sich neue Berufssparten entwickeln werden. Diese haben im Fall von Immobilien-Crowdfunding einerseits mit technischen Berufen zu tun, andererseits aber auch mit Berufen, Möglichkeiten und Wirtschaftszweigen in der Immobilienwirtschaft.