Geschäftsmiete zahlen oder nicht zahlen? Und wenn ja, wie viel?

Rechtsanwalt Guido Zorn über die Gretchenfrage der Mietforderungen und Zahlungen.

von 10 Minuten Lesezeit

Geschäftsmiete zahlen oder nicht zahlen? Und wenn ja, wie viel?

Die COVID-19-Pandemie hat sowohl Mieter als auch Vermieter kalt erwischt. Wie war die Situation in den ersten Wochen?   

Zu Beginn hat man zunächst gar nicht realisiert, um was es sich da handelt; war dieses COVID-19 nur Fantasie, ein Hirngespinst aus Fernost oder wirklich real? Erst als dann tatsächlich zeitnah ein „Shut-down“ verfügt wurde, der das gesamte Leben, wie wir es bislang gekannt hatten, mehr oder weniger von einem Moment auf den anderen lahmlegte bzw. zumindest radikal veränderte, dämmerte allen, dass es neben dem gesundheitlichen Aspekt auch einen womöglich noch viel größeren wirtschaftlichen Aspekt gab – eine Lawine, die da grad auf uns zurast.   Auch in unserer Anwaltskanzlei war daher rasch klar, dass neben den Themen, die die Sicherung des Fortbetriebes der eigenen Kanzlei betraf, mindestens ebenso rasch Vorsorge für einen Ansturm von Rechtsberatungen aller Arten für unsere Klienten getroffen werden musste.   Wir waren zwar als Spezialisten im Immobilien-, Bestand- und Gesellschaftsrecht rasch gut aufgestellt, haben ehrlicherweise aber auch täglich hier neue Erfahrungen gesammelt und aus diesen auch viel gelernt.   

Paragraf 1104 AGBG war zu dieser Zeit wohl der meistgelesenste Paragraf. Was besagt er und wie ist er anzuwenden bzw. wie wurde er von Mietern/Vermietern interpretiert?   

Relevant sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen der §§ 1104 – 1107 ABGB. Der wesentlichste ist § 1104 ABGB; dieser regelt lapidar, dass dann, wenn die in Bestand genommene Sache (ob nun Miete oder Pacht) wegen außerordentlicher Zufälle gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, der Bestandgeber zur Wiederherstellung des bedungenen Gebrauchs nicht verpflichtet ist und der Bestandnehmer dafür aber auch keinen Miet-/Pachtzins zu entrichten hat.   Binnen kürzester Zeit haben Dutzende Rechtsgelehrte, Rechtsanwälte, Richter und auch sonst mit dem Bestandsrecht Vertraute zahlreiche Stellungnahmen zu dieser Bestimmung abgegeben, zumal er doch einigen Sprengstoff birgt.   Mieterseits wurde selbstverständlich davon ausgegangen, dass durch die weltweite Seuche COVID-19 und die deswegen verhängten Maßnahmen der Regierung, insbesondere die verordneten Betretungsverbote bestimmter Geschäfte, keine Miete mehr zu zahlen wäre.   Vermieterseits wurde hingegen anfangs sogar noch bezweifelt, dass es sich bei COVID-19 überhaupt um einen im Gesetz vorausgesetzten „außerordentlichen Zufall“ handelt, was wohl mittlerweile keiner mehr bestreitet. Es wurde zudem bestritten, dass es ja nicht die Seuche ist, die die Geschäfte geschlossen hat, sondern die von der Regierung erlassenen Maßnahmen, sodass dies eben doch kein Anlassfall des § 1104 ABGB wäre.   

Fallweise finden sich auch Bestimmungen in Verträgen, die wie immer geartete Beeinträchtigungen in die Risikosphäre des Mieters schieben, was auch als zulässig angesehen wird. Fraglich ist in diesem Zusammenhang nur, ob die Vertragspartner auch diese (oder vergleichbare) Fälle einer weltweiten Pandemie bei Vertragsabschluss vor Augen hatten, dies uU nicht hinreichend konkrete Klauseln sind, usw.   Die Positionen waren radikal diametral, was uns auch in der anwaltlichen Beratung, je nachdem, ob wir in Vertretung der Mieter oder des Vermieters zu argumentieren hatten, vor Herausforderungen gestellt hat.   Dass zudem eine weitere Bestimmung den ewigen Streitfall, ob ein konkreter Bestandsvertrag ungeachtet seiner (dahingehend irrelevanten) Bezeichnung nun als „Mietvertrag“ oder „Pachtvertrag“ zu verstehen ist, befeuert hat, ist ein weiteres Betätigungsfeld der aktuellen Beratung und wird es wohl auch bleiben. Der in § 1104 ABGB vorgesehene mögliche gänzliche oder teilweise Entfall der Mietzinszahlungspflicht gilt im Bereich des Pachtvertrages nämlich nicht in dieser Form. Gem. § 1105 ABGB gebührt einem Pächter nämlich nur dann eine Reduktion des Pachtzinses, wenn es sich um ein lediglich auf 1 Jahr befristetes Pachtverhältnis handelt und zudem der Ertragsverlust mehr als die Hälfte ausmacht. Für alle anderen Pachtverträge bedeutet dies also, dass ungeachtet aller Einbußen, die auf COVID-19 zurückzuführen sind, der volle Pachtzins weiterhin zu zahlen ist. Es versteht sich von selbst, dass daher vermieterseits versucht wird, Bestandsverträge nun im Zweifel als Pachtverträge denn als Mietverträge zu werten. 

Mieter gingen davon aus, dass keine Miete mehr zu zahlen wäre, Vermieter zweifelten am „außerordentlichen Zufall“.
Die Mieter standen vor einem massiven Umsatzausfall, die Vermieter mussten um ihre Mieteinnahmen bangen. Wie gingen die unterschiedlichen Parteien mit der Situation um?   
Die Umsatzausfälle sind leider nicht nur ein Thema der Vergangenheit, das zwischen Mietern und Vermietern aufzuarbeiten ist, sondern womöglich auch Gegenstand weiterer, künftiger Konflikte (Stichwort: „2. Welle“).   Klar ist, dass selbst im Fall einer uU möglichen Mietreduktion diese nur in dem Ausmaß zulässig ist, als die mögliche Nutzung tatsächlich eingeschränkt war (bzw. weiterhin ist). Als Maßstab dafür wird jeweils der konkrete Vertrag, insbesondere der vereinbarte Verwendungszweck heranzuziehen sein. Das wiederum bedeutet, dass jeder Fall individuell zu prüfen und zu klären sein wird. Wie oben dargestellt, wäre allenfalls auch eine Klausel denkbar, wonach das gesamte Risiko in die Mietersphäre fallen soll.   Vor diesem Hintergrund der zu vielen Fragen nicht vorhandenen Judikatur, die zudem nur in Ausnahmefällen auf hier immer anzustellende Einzelfallentscheidungen anzuwenden wäre, haben Mieter wie auch Vermieter in dem Wissen, auch weiterhin aufeinander angewiesen zu sein und nur miteinander diese Krise überstehen zu können, in überwiegenden Fällen rasch und gleich in Eigeninitiative (allenfalls mit anwaltlicher Beratung im Hintergrund) außergerichtliche Einigungen gefunden.   

Andere Parteien wiederum haben sich zwar ebenfalls mittlerweile geeinigt, nachdem man zunächst aber über entsprechende rechtliche Vertreter die jeweiligen gegenteiligen Auslegungsmöglichkeiten der konkreten Vertragsbedingungen einander vorgehalten und auch mit gerichtlichen Schritten gedroht hat, immer aber in dem Wissen, dass jede gerichtliche Entscheidung letztlich ein Risiko für alle Parteien ist – und man will ja nicht der erste sein, der hier eine denkbare Leitentscheidung provoziert, die dann leider nicht so ausfällt, wie man sie sich erhofft hatte.   Letztendendes gibt es aber auch eine – aus unserer Beobachtung – sehr kleine Zahl von Mietern/Vermietern, die das geschilderte Risiko eines Gerichtsverfahrens bewusst in Kauf nehmen. Meistens sind die Motive dazu jedoch nicht allein der Corona-Krise geschuldet, sondern schwingen hier oft andere Konflikte mit dem Vertragspartner mit, die eine eigentlich sinnvolle Einigung nicht ermöglichen. Wir gehen aber auch hier davon aus, dass selbst bei diesen wenigen die meisten Verfahren wiederum mit einem Vergleich vor Gericht enden werden. Letztlich werden wohl nur die wenigsten Mieter/Vermieter bis hinauf in die 3. Instanz zum Obersten Gerichtshof (OGH) Urteile bemühen. Auf diese Entscheidungen darf man aber gespannt sein, weil diese dann sicher richtungsweisenden Charakter haben werden. 

Gerade in Shoppingcentern gestaltet sich der Mietpreis aus Basismiete und Umsatzmiete. Wie wurde/wird damit umgegangen?   
Die Basismiete bzw. Fixmiete ist gleichbeliebend, die Umsatzmiete abhängig vom erwirtschafteten Umsatz. Letztere kann aber erst im Nachhinein berechnet werden. Bei vielen Mietverträgen sind hier die Jahresumsätze ausschlaggebend, die zB für 2020 erst 2021 gemeldet werden, sodass man die konkreten Auswirkungen noch gar nicht abschätzen kann. Denkbar ist ja, dass man gewisse Umsatzeinbußen im gleichen Jahr auch wieder wettmachen kann, wenngleich schon klar ist, dass in vielen Branchen katastrophale Umsatzeinbrüche (zumindest) drohen. Es wird hier aber auch darauf ankommen, welche unternehmerischen Entscheidungen die jeweiligen Mieter treffen, um drohende oder bereits stattgefundene Umsatzeinbußen zu kompensieren oder zumindest zu minimieren. Es wird nicht angehen, dass die Vermieterseite diesbezügliche falsche unternehmerische Entscheidungen der Mieterseite im Wege einer Reduktion der Umsatz-Mietkomponente zu tragen hat. Letztlich wird man auch von den Mietern verlangen dürfen/müssen, dass sie die sich bietenden Fördermöglichkeiten ausschöpfen (zB Fixkostenzuschuss). Dort, wo es staatliche Zahlungen gibt, um Verluste bzw. Ausgaben zu kompensieren bzw. abzumildern, wird man vielleicht diskutieren können, ob diese Zahlungen in die Bemessung der Umsatzmiete einfließen müssen. Die aktuellen Förderrichtlinien bzw. Stellungnahmen des FA verweisen zwar darauf, dass staatliche Zuschüsse nicht als „Umsatz“ zu werten und daher steuerneutral sein sollen, ob das allerdings auch privatrechtlich Einfluss auf die Berechnung der Umsatzmiete nehmen kann, bleibt uE offen. Auch hier wird es ein weites Feld für Beratung (auf beiden Seiten) geben. 

 Mieter, die es unterlassen, vorhandene Förderungen abzurufen, werden bei Mietminderungen in Argumentationsnotstand geraten.

Stichwort Fördertöpfe: Waren/sind die Maßnahmen der Regierung sinnvoll? Welche Schwierigkeiten werfen die Unterstützungszahlungen auf?   

Aus unserer Sicht sind die Maßnahmen der Regierung sinnvoll und zielorientiert. Auch auf Landes- oder Kommunalebene wird ja versucht, zu stützen, wo es geht, wenngleich es natürlich schon wegen der Anzahl aller jener, die um Unterstützung ansuchen, schwer ist, in der im jeweiligen Einzelfall gebotenen Raschheit zu prüfen und Gelder auch konkret fließen zu lassen. Eine „Infrastruktur“ auf behördlicher Ebene in der gleichen Geschwindigkeit der dazu getroffenen politischen Entscheidungen zu etablieren, war unmöglich. Niemand konnte die Pandemie mit ihren Auswirkungen vorhersehen, planen oder hat nun ein Patentrezept parat. Daher hat es anfangs auch durchaus länger gedauert, bis erste Finanzmittel auch ankamen. Alle lernen täglich dazu.   Schwierig schätzen wir ein, dass schon bei der vorhandenen riesigen Anzahl an Föderungssuchenden und deren gebotene dringliche Behandlung eine Beurteilung schwer ist, ob der konkret behauptete Förderbedarf wirklich der Coronakrise geschuldet ist oder diese nur als willkommener Anlass gesehen wird, die eigene ohnehin schlechte Finanzsituation zu verbessern.   

Wer ist aus Ihrer Sicht der große Verlierer, wen trifft es am härtesten?   

Eine gute Frage, die man letztlich wohl nur retrospektiv beantworten können wird, zumal hier viele Aspekte (nicht nur finanzielle) miteinfließen. Reduziert man die Frage aber auf den Retailsektor und zudem auf finanzielle Aspekte, dann würden wir meinen, dass Unternehmen, die auch ohne die aktuelle Krise schon an der Kippe zur Insolvenz standen, diese herausfordernde Zeit nur schwer meistern werden können. Zudem kommt, dass es auch bei den Kunden ein Umdenken geben wird, zumindest aber eine „neue Vorsicht“ Platz greifen wird. Denkbar ist, dass Shoppen nicht mehr als „Erlebnis“ (Stichwort: Maskenpflicht), sondern als „nötiges Wagnis“ wahrgenommen wird. Das Einkaufcenter als „Ort der Begegnung“ auch außerhalb der üblichen Geschäftsöffnungszeiten könnte sich wandeln.   

Welche Fragen wurden Ihnen am häufigsten gestellt?   

Den Klienten (seien es nun Vermieter oder Mieter) geht es um eine realistische Bewertung ihrer jeweiligen Situation und darauf aufbauend um eine klare Darstellung der zur Verfügung stehenden außergerichtlichen/gerichtlichen Möglichkeiten. Sie entscheiden in einem weiteren Schritt dann individuell, großteils betriebswirtschaftlich motiviert.   

Gibt es bereits erste Klagen? Wie wird sich die Situation entwickeln und wie sehr werden die Gerichte mit dem Thema beschäftigt? Was sind die heißesten Fragen, um die es geht?   

Es gibt bereits erste Klagen, sei es nun von Vermietern, die unbezahlte Mieten einklagen, oder Mieter, die ihrer Ansicht nach zuviel und nur unter Vorbehalt bezahlte Miete wieder zurückfordern. Wie dargestellt, sind all diese Fälle individuell zu bewerten und zu entscheiden. Es liegt dann an den jeweiligen (Rechts-)Vertretern beider Streitteile, entsprechend den Wünschen und Vorgaben der Klienten zu argumentieren.   Wesentliches Argumentations- und Entscheidungskriterium wird aber immer der Mietvertrag (bzw. allfällige spätere Zusatzvereinbarungen) sein. Davon abgeleitet wird es z.B. um die Fragen gehen, was als Mietzweck vereinbart war, ob und in welchem Ausmaß dieser Zweck in dem jeweiligen Geschäftslokal noch ausgeübt werden konnte, ob alle Zufälle, die den Geschäftsgang eines Mieters beeinträchtigen könnten, in dessen Sphäre (rechtsgültig) verschoben wurden, ob den Mieter eine Schadensminderungs- bzw. mietvertragliche Treuepflicht im Zusammenhang mit Bemühungen trifft, staatliche Fördertöpfe anzuzapfen.   

Mag. Guido Zorn ist Rechtsanwalt bei BISCHOF ∙ ZORN + PARTNER