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Das österreichische Start-up VIEW Elevator vereinfacht mit Digitalisierung das Aufzugsmanagement. COO Günter Baca im Interview über den Einsatz von Sensorik, Algorithmen und künstlicher Intelligenz in Liftanlagen.

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Transparenz

Wenn man Digitalisierung hört, denken viele an Vereinfachung …  

Günter Baca: Der erste Schritt zur Vereinfachung ist loslassen, was man nicht braucht. Das sollte beim Aufzugsmanagement nicht allzu schwerfallen. Die Aufzugs-Materie ist komplex, der Verwaltungsaufwand ist enorm und die Verantwortung hoch. Kein Betreiber hat Bedarf an unnötigen Kopfschmerzen.   

Loslassen und dennoch alles im Griff haben, geht das? Wie kann Digitalisierung beim heiklen Thema Betreiberpflichten und Haftung helfen? 

Die Betreiberpflichten so wahrzunehmen, wie vom Gesetz vorgesehen, ist komplex und herausfordernd. Deshalb wird das Thema gerne delegiert. Dabei sollte keinesfalls übersehen werden, dass die Kontrollverpflichtung immer beim Betreiber bleibt. Passiert etwas, hat man sofort die Betreiberhaftung auf dem Tisch. Dank Digitalisierung haben wir mit VIEW LiftBook in den letzten Monaten eine Aufzugsmanagement-Plattform geschaffen, die hier Klarheit und die Voraussetzung schafft, alle Dokumentations- und Kontrollpflichten rechtssicher zu erfüllen.  

Für Betreiber ist es auch wichtig, dass die Kosten nicht zu hoch sein dürfen … 

Richtig, und in diesem Zusammenhang noch wichtiger ist die Transparenz. Denn nur auf Basis transparenter Fakten können Betreiber die richtigen Entscheidungen treffen. Viele Betreiber erkennen zwar das Problem, dass ihnen entscheidendes Know-how fehlt. Fehlen aber die Einblicke, dann wird der Preis rasch das einzige Entscheidungskriterium. Der Trend, den kleinsten Preis einzukaufen, befeuert den Preiskampf und steigert den Anteil der Fremdwartungen sowie das Risiko, dass die Anlagen nicht wertsichernd betreut werden können.  

Sehen Sie konkrete Anzeichen für unerwünschte Entwicklungen zum Nachteil der Betreiber? 

Wirklich lukrativ ist das Aufzugsgeschäft erst aufgrund der nachgelagerten Serviceleistungen. Langfristige Serviceverträge sichern Aufzugsfirmen hohe Margen. Sie erweitern ihr Instandhaltungsportfolio und sind bereit, jede Art von Aufzugsanlage zu warten. Da mag es möglicherweise nur Zufall sein, dass wichtige Dokumente wie Schaltpläne verloren gehen. 

„Bisher stellte der Aufzug für die meisten Betreiber eine ‚BlackBox‘ dar.“

Gibt es ein generelles Problem, dass Dokumente oder Schaltpläne gerne verschwinden oder verloren gehen? 

Wie eine Stichprobe bei einem großen öffentlichen Betreiber mit gemischtem Portfolio ergab, fehlten bei rund 85 Prozent der Anlagen Handbücher oder Schaltpläne, die bei der Anlage zur Verfügung stehen sollten. Aus welchen Gründen die Dokumente entfernt wurden, sei dahingestellt. Fest stehen die Auswirkungen: Zeitverschwendung, Stress und Kosten. Durch fehlende Dokumente und Pläne sind Wartungsdienstleister und Sicherheitsprüfer nicht ausreichend ausgestattet, um die Anlagen korrekt instand zu halten oder zu prüfen. 

Wie sieht die digitale Lösung für das Aufzugsmanagement aus? 

Wenn es darum geht, sowohl technisch, wirtschaftlich als auch rechtlich diesen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, stellt der Aufzug für die meisten Betreiber bisher eine „Black Box“ dar. Mithilfe von VIEW LiftBook sind alle anweisenden und nachweisenden Dokumente auf Knopfdruck verfügbar. Abläufe werden strukturiert unterstützt und notwendige Korrektur-Maßnahmen werden im System automatisch veranlasst. Die Einhaltung der Betriebskontrollen wird automatisch terminisiert und überwacht. Selbst die Organisation der Überprüfung mit einem Aufzugsprüfer ist ganz einfach. Die Übertragung der Rechte – und des damit verbundenen Zugriffs – erfolgt sicher, zuverlässig und unkompliziert. Und last but not least: Durch die neutrale Plattform ist die Datenhoheit klar im Sinne der Betreiber geregelt. Damit gibt es auch keinen Streit, wem die Daten gehören.  

VIEW ist ja bekannt für seine KI- und sensorgestützte Sicherheitsüberwachung der Aufzugskabine … 

Das Scope unseres Leistungsspektrums umfasst zuverlässige sensorgestützte 24/7-Betriebskontrolle für die bestmögliche und sichere Funktionalität der Aufzugsanlage. Sie liefert die solide Basis für Condition Based Maintenance und unterstützt die Dokumentation ebenso, wie bei der Optimierung des wirtschaftlichen Betriebs und der Einhaltung von Sicherheitsrichtlinien und Notfallplänen. 

Apropos Notfälle – Aufzüge gelten ja eigentlich als Ort des Unbehagens, warum? 

Das fängt schon damit an, dass die Aufzugskabine ein abgeschlossener Ort ist. Die Türen gehen zu und die Welt bleibt draußen. Auf dem Weg zum Ziel kann man nicht kontrollieren, wer zusteigt. Die verdichtete Nähe von Fremden tut ihr Übriges. Das sind einige Gründe, warum Aufzüge in Filmen häufig eine dramatische Rolle finden. Und für uns der Grund, den Aufzug zu einem „Ort aktiver Sicherheit“ zu machen. 

Gestartet haben wir damit, den Notruf zu hinterfragen. Dieser funktioniert noch nach dem Prinzip des Kupferdrahttelefons. Das bedeutet, man kann ihn nur bedienen, wenn man der Sprache mächtig ist. Gerade im Notfall ist es für die Betroffenen extrem wichtig, dass sie verstanden werden. Was aber, wenn sie nicht sprechen können? Wir haben einen Aufzugsnotruf nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip“ entwickelt. Dieses Prinzip, das übrigens in der B1600 gefordert wird, bedeutet, dass immer mindestens zwei der drei Sinne „Hören, Sehen, Tasten“ angesprochen werden. Unser Fernnotruf-System stellt sicher, dass auch Menschen, deren Hör-, Sprach- oder Sehleistung eingeschränkt ist, den Aufzugsnotruf – ohne fremde Hilfe – benutzen und in wenigen Schritten Hilfe anfordern können. Unser System ermöglicht die Notrufkommunikation zusätzlich in zwölf Sprachen.  

Aufzüge funktionieren mittlerweile sehr digital, ist man da mit dem Notruf nicht etwas hinten nach? 

Überraschenderweise wurde der kleine Knopf mit der Glocke von der Industrie übersehen. Aber bei VIEW sind wir schon den entscheidenden Schritt weiter. Wir bieten ein patentiertes System, das den Notrufknopf überflüssig macht. Der Aufzug erkennt, dass Sie einen Notfall haben und kann autonom Hilfe anfordern. Die Überwachung mit Tiefensensorik und künstlicher Intelligenz ist in der Lage festzustellen, ob medizinische Notfälle oder gar Übergriffe vorliegen.  

Wie kann der Aufzug medizinische Notfälle erkennen? 

Ein Beispiel: Gegen Jahresende sind die Arbeitsbelastung und der Stress besonders hoch. Sie verlassen zu später Stunde als Letzter das Büro. Sie stehen im Lift, der Stress fällt ab und dann kommt es zu einem medizinischen Notfall – wie zum Beispiel einem Herzinfarkt. Niemand drückt den Notruf. Das Reinigungspersonal findet den Unglücklichen am nächsten Morgen – aber es ist zu spät. Weil jede Sekunde zählt, erkennt unsere Sensorik sofort, wenn eine Person in Kabine verbleibt, auch ob es sich um eine bewusstlose Person handelt – und schon funktioniert die Rettungskette.  Ist das nicht ideal für Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, wo Menschen oft orientierungslos sind? Ja, dafür ist es angesichts der besonderen Gefahrenlage perfekt, weil abweichendes Verhalten und Notfälle sofort erkannt werden. Unser Anliegen ist es, den Aufzug zu einem „Ort der aktiven Sicherheit“ zu machen.

Günter Baca ist seit 2019 COO von VIEW Elevator und langjähriges Vorstandsmitglied des Kundendienstverbandes. Zuvor war er bei Kone und Polaroid tätig. In Diplomarbeiten beschäftigte er sich mit der „Alltäglichen Praxis der Fremdheit - Umgang mit unausweichlicher Nähe von Fremden in verdichteten Nicht-Orten am Beispiel der Aufzugsfahrt“ ebenso, wie mit „Aufzugsmanagement - Kosten- und Risiko-Management entlang des Produktlebenszyklus“ und „Aufzüge und Haftung“.

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