Abgesandelt und ramponiert

Faktencheck. „Österreich ist abgesandelt und ramponiert!“ Dass sein Sager drei Jahre lang in aller Munde bleiben würde, damit hat Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer, nicht gerechnet, als er 2013 in Alpbach seiner Wut Luft machte. Doch hat er recht?

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Faktencheck. „Österreich ist abgesandelt und ramponiert!“ Dass sein Sager drei Jahre lang in aller Munde bleiben würde, damit hat Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer, nicht gerechnet, als er 2013 in Alpbach seiner Wut Luft machte. Doch hat er recht?

Österreich musste in den letzten Jahren den Gürtel deutlich enger schnallen. Seit dem Jahr 2011 liegt das Gesamtwirtschaftswachstum jährlich unter einem Prozent, damit kommt Österreich nur mehr auf Platz 15 in der Eurozone. Auch das Wachstum der Konsumausgaben und der Investitionen fiel in den letzten Jahren zurück und blieb in vielen Fällen unter den Erwartungen; einzig der Außenhandel hielt mit vier Prozent Wachstum im Jahr 2015 den Kurs. Allerdings tut sich ein Licht am Ende des Tunnels auf und nach einer längeren Stagnationsphase scheint es, als ob Österreich der Anschluss an seine Euro-Partner wieder gelingen würde. Für das Jahr 2016 erwartet die ÖNB ein BIP-Wachstum von 1,6 Prozent und auch die Konsumausgaben und die Investitionen sollen kräftig anziehen (2,0 Prozent; 3,2 Prozent). Das WIFO kommt, laut Marcus Scheiblecker, dem Kopf hinter den neuen WIFO Wachstumsprognosen, welche Ende September öffentlich präsentiert werden sollen, auf ähnliche Zahlen. „Wir sehen ein BIP-Wachstum von 1,6 Prozent als durchaus realistisch an und würden im Bereich der Bruttoeinlageninvestitionen sogar etwas optimistischer prognostizieren.“

Weitaus besser sieht es für Österreich im Bereich Innovation und Forschung aus. Der jährlich erscheinende Bericht der Beratungsfirma Deloitte „Deloitte Radar 2016“ stellt Österreich ein gutes Zeugnis im Bereich „Innovation, Forschung und Technologie“ aus. Dass die Richtung stimmt, bestätigt auch der „Global Innovation Index 2016“ (INSEAD), in dessen Ranking Österreich um zwei Plätze besser abschneidet (Platz 18) als noch im Jahr davor (20). Besonders positiv wird von beiden Berichten die Forschungsquote von drei Prozent hervorgehoben, die in dieser Höhe Euro-weit den Spitzenplatz besetzt. Auch als F&E (Forschung & Entwicklung) Standort macht Österreich von sich hören. Mit einer Quote von 16,4 Prozent an Auslandsinvestitionen im F&E-Bereich steht der heimische Standort ebenfalls auf dem ersten Platz im europäischen Vergleich. Hervorgestrichen werden außerdem die Änderungen im Neugründungs-Förderungsgesetz und die „Gründungsland-Strategie“ des BMWFW mit dem ambitionierten Ziel, in den nächsten drei Jahren 50.000 Neugründungen in Österreich zu schaffen.

Nachholbedarf gibt es im Bereich der Digitalisierung. Hier fällt Österreich, wie der „Deloitte CIO Survey 2015“ aufzeigt, international im Ranking zurück. Auch die Innovationsbereitschaft der Unternehmen schwächelt im Vergleich zu anderen Ländern, woran, laut der Studie, unter anderem die österreichischen Datenschutzvorgaben schuld sein sollen; außerdem fehlt es weiterhin an Risikokapital und geeigneten Rahmenbedingungen, um solches effektiv einzusetzen.

„Tor zum Osten“?

Im Bereich der Infrastruktur kann Österreich immer noch punkten und landet im weltweiten Spitzenfeld. Im „World Competitiveness Yearbook 2016“ (IMD-Ranking) landet der heimische Standort auf Platz 12. Auch der „Deloitte Radar 2016“ bestätigt die Topqualität des heimischen Straßen-, Bahn- und Mobilfunknetzes und reiht Österreich sogar im Bereich Infrastruktur unter die Top-10 der Welt ein. Vor allem die effiziente Energieversorgung, die einen hohen Anteil an erneuerbarer Energie aufweist, wird positiv hervorgehoben: Beispielsweise müssen Konsumenten jährlich nur mit 33 Minuten ungeplanter Nichtverfügbarkeit der Stromversorgung rechnen, womit Österreich auf Platz vier der EU-Länder liegt.

Allerdings hat der heimische Standort den Ausbau seiner Infrastruktur in den letzten Jahren in einigen Bereichen auch vernachlässigt – Projekte wie der Brennerbasistunnel oder der Donaukorridor harren einer Erledigung. Ein großer Minuspunkt ist auch die oft beschworene Breitbandinitiative, die viel zu langsam in die Gänge kommt.

scheiblecker-marcus-wifoSein geografisches Potenzial nutzt Österreich aber immer noch gut. Der heimische Standort gilt immer noch als stabiles Sprungbrett für Aktivitäten in Osteuropa, was sich in den Firmenansiedlungen widerspiegelt: 16.000 bereits existierende Joint-Ventures und rund 1.000 Osteuropa-Koordinationszentralen internationaler Konzerne schaffen ein fruchtbares Know-how-Umfeld für CEE-Aktivitäten.

„Die Aufholjagd ist allerdings vorüber“, prognostiziert Marcus Scheiblecker nüchtern: „Der Osten der EU hat seinen Abstand zu Westeuropa beinahe aufgeholt. Vor allem im Ausbildungsgrad der jungen Leute stehen sie (Ost-EU-Staaten) uns um nichts mehr nach.“

Lebensqualität

Den Titel „Insel der Seeligen“ verteidigt Österreich weiterhin erfolgreich und punktet hier in allen Rankings. Hauptgrund für das gute Abschneiden des heimischen Standortes ist weiterhin ein hoher materieller Wohlstand. Die Netto-Kaufkraft von Herr und Frau Österreicher liegt bei 20.396 Euro und damit immer noch 28 Prozent über dem EU-Schnitt. Schwachpunkt ist die Gesundheitsversorgung – nicht wegen der Qualität, sondern wegen der laut OECD ineffizienten und teuren Strukturen sowie des starken Fokus auf stationäre Behandlung. Auf die Zufriedenheit mit dem heimischen Gesundheitssystem hat diese Kritik allerdings keinen Einfluss. Laut dem „Gesundheitsbarometer 2016“ sind 85 Prozent der Österreicher mit dem System „sehr zufrieden“. Als Begründung wird der leichte Zugang zum heimischen System und die hohe Bettenzahl (7,7 Spitalsbetten pro 1.000 Einwohner) angeführt.

Außergewöhnlich gut schneiden die heimischen Ballungsräume im internationalen Vergleich ab. Nicht nur Wien – das sich weiterhin die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität nennen darf – macht immer wieder von sich hören, sondern auch Graz, Innsbruck und Salzburg.

„Ich habe immer wieder in Studien die Erfahrung gemacht, dass Großunternehmer sich sehr genau ansehen, wie es um die Lebensqualität an einem Standort steht“, betont Markus Marterbauer von der AK-Wien: „Öffentlicher Nahverkehr spielt hier zum Beispiel eine ganz essenzielle Rolle.“

Einen weiteren Pluspunkt verdient sich Österreich im Bereich „Sicherheit“. Der „Global Peace Index 2016“ reiht Österreich weiterhin als drittsicherstes Land der Welt ein. Nicht nur aufgrund seiner verfassungsgebenden Neutralität und seiner politischen Stabilität punktet Österreich in den Rankings, sondern auch soziale Sicherheit ist ein Motor für die gute Platzierung. Als Beispiel gilt hier das Modell der „Sozialpartnerschaft“, das weltweite Anerkennung findet: Das „World Competitiveness Yearbook 2016“ reiht Österreich auf Platz 5 im Ranking „Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“. In kaum einem Land wird weniger gestreikt als in Österreich. Zwei Streiktage pro Jahr je 1.000 Beschäftigte weist der Index auf, nur in der Schweiz wird noch weniger gestreikt. „Die Sozialpartnerschaft funktioniert vor allem unter der Wahrnehmungsschwelle sehr gut“, meint der AK-Wien-Experte. „Es gibt jährlich hunderte erfolgreiche Kollektivverhandlungen und diese Erfolge werden als selbstverständlich gesehen, das macht es sehr schwer, die Sozialpartnerschaft öffentlich zu bewerben.“

Erschwernisse

Hier kann – und muss – Österreich seine Standortqualität deutlich heben. International vergleichende Berichte und Rankings zeigen klar: Die übermäßige Bürokratisierung ist ein Hemmschuh für das österreichische Wirtschaftswachstum. Im „Wirtschaftsbarometer 2016“ der WKO geben 57 Prozent der befragten Unternehmer an, dass eine massive Verwaltungsvereinfachung notwendig wäre, um Investitionen anzustoßen. Weitere 52 Prozent meinen, dass die Verwaltungskosten eine Bremse darstellen. Tatsächlich liegen die Pro-Kopf-Verwaltungskosten in Österreich bei 1.270 Euro laut den aktuellen Eurostat-Zahlen und damit 50 Prozent über dem EU-Schnitt! Obwohl das Problem politisch erkannt wurde, harren bereits ausgearbeitete Gegenmaßnahmen immer noch einer gesetzlichen Umsetzung.

Ein weiteres Manko im internationalen Standortwettbewerb ist die hohe Steuerbelastung. Laut dem „Deloitte Radar 2016“ liegt Österreich bei der Körperschaftssteuer zwar im europäischen Durchschnitt, doch die hohen Lohnnebenkosten – immerhin 49,4 Prozent – sind das größte Problem am heimischen Standort. Dazu kommen schwer durchschaubare steuerliche Ausnahmebestimmungen.

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