Da schlafen einem die Füße ein

Der große Irrtum. Die Bauträgerbranche glaubt, so die beiden Kallco Geschäftsführer Stefan Eisinger und Winfried Kallinger, ohne Forschung und Entwicklung auskommen zu können. Das wird sich rächen.

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Der große Irrtum.  Die Bauträgerbranche glaubt, so die beiden Kallco Geschäftsführer Stefan Eisinger und Winfried Kallinger, ohne Forschung und Entwicklung auskommen zu können. Das wird sich rächen.

Bleibt Nachhaltigkeit aufgrund steigender Grund- und Baukosten auf der Strecke? Im Office-Bereich heißt es, man baue für den eigenen Bestand nachhaltiger als für Investoren, weil sich die Mehrkosten am Markt nicht abbilden lassen?

Stefan Eisinger: Wir bauen so nachhaltig wie möglich, wie wirtschaftlich vertretbar. Egal ob für den eigenen Bestand oder für Investoren.

Winfried Kallinger: Wir hatten auch einen Investor, bei dem wir die Idee eines Passivhauses nicht durchsetzen konnten – trotz lächerlicher Mehrkosten. Die mit einem Passivhaus zu erzielenden niedrigeren Betriebskosten waren ihm egal, weil die Betriebs- und Heizungskosten der Mieter zahlt. Wir haben die Idee des Passivhauses in Teilbereichen auf eigene Kosten trotzdem durchgesetzt. Wir waren der Ansicht, dass es unverantwortlich wäre, es nicht zu tun.

Wie stehen Sie heute zum Passivhaus?

Kallinger: Wir haben ein großes Passivhaus im zweiten Bezirk realisiert. Aus dieser Erfahrung habe ich große Vorbehalte.

… im geförderten oder im freifinanzierten Wohnbau?

Kallinger: Das war für den geförderten Wohnbau. Bei all unseren Produkten für Investoren und den eigenen Bestand gilt, dass wir im moderaten Preissegment agieren.

Wie definieren Sie „moderates Preissegment“?

Kallinger: Zwischen 8,5 Euro und 9 Euro Nettomiete pro Quadratmeter, das ist unsere Benchmark. Im freifinanzierten Bereich ein ambitioniertes Ziel. Es ist aber machbar.

Noch einmal kurz zurück zum Thema Nachhaltigkeit. Man muss definieren: Der eine Punkt ist die energetische Nachhaltigkeit, sprich geringer Energieverbrauch. Der zweite, wichtigere Punkt ist die Zukunftssicherheit von Gebäuden, die Anpassbarkeit an sich ändernde Bedürfnisse.

Die Gründerzeitbauten sind zwar energetisch nicht unbedingt nachhaltig, sind aber in Bezug auf ihre Wandelbarkeit sehr nachhaltig. Ich kann in Gründerzeitbauten Wohn- oder Büroeinheiten trennen und zusammenlegen. Das kann man bei „modernen“ Plattenbauten aus den 70er oder 80er Jahren nicht. Das bedeutet unter Umständen auch einen enormen Preisverfall, wenn die Gebäude nicht an diese veränderten Bedürfnisse heranführbar sind.

Vor zwei, drei Jahren gab es einen Bauträgerwettbewerb für einen bestehenden Gemeindebau aus den 60er Jahren. Es stellte sich heraus, dass er unsanierbar war – und das nach nur 50 Jahren. Das ist doch Wahnsinn.

Wie weit geht die Anpassbarkeit?

[caption id="attachment_10161" align="alignleft" width="272"]kallinger-winfried-_-kallco-_-01 © cityfoto[/caption]

Kallinger: Die Anpassbarkeit geht im Prinzip bis zur Demontierbarkeit des Hauses. Das ist ein Gedanke, den die Branche bisher nicht kannte – oder dachte, ihn nicht kennen zu müssen. Mit unserem Planungs- und Bausystem Slim Building setzen wir genau an dieser Schwachstelle an. Wir machen Häuser wieder konstruktiv, „weich“.

Ich kann Zwischenwände, Trennwände usw. ohne Problem herausnehmen, weil das Konstruktionsmodul auf schlanken Säulen ruht. Beim Slim Building sind nicht einmal mehr die Fassaden tragend.

Im Wohnbau ist mit den schrumpfenden Wohnungsgrößen ein bestimmter Raster Standard geworden. Bei massiven Fertigteilwänden kann ich den Wohnungsschnitt nie mehr ändern, das ist das Problem. Eines ist klar: Die Wohnung auf Lebenszeit gibt es nicht. Alle bauen einen Einheitstyp - aber 55 Quadratmeter zu verewigen heißt, dass man dort keine Familie gründen kann.

Will man sich oder kann man sich nicht mehr Fläche leisten?

Kallinger: Ich kenne niemanden, der nicht lieber ein größeres Wohnzimmer hätte als ein kleines. Die Frage ist, kann man es sich einkommensmäßig leisten.

Aber einige Developer meinen, dass kleinere Wohnungen dem Kundenwunsch entsprächen.

Kallinger: Das glaube ich nicht. Es gibt schon ganz „schicke und smarte“ Grundrisse. Diese Vorschläge kennt man seit 50 Jahren. Da schlafen einem bei der Präsentation schon die Füße ein. Wenn man glaubt, einen Baukörper mit schiefen Winkeln oder eine Bauskulptur machen zu müssen, bringt man keinen cleveren Grundriss zusammen. Die Architektur muss mehr in Richtung Pragmatismus gehen. Zugegeben, dass ist gefährlich, das kann zu Primitivität führen. Da fängt die Kunst der Architektur an.

Ich will das Passivhaus nicht schlechtreden. Unter gewissen Bedingungen ist es sogar sehr, sehr gut. Zum Beispiel das Bürohaus 2226 von Baumschlager-Eberle in Lustenau. Das heizt und kühlt sich aus der Abwärme der Computer etc. Wir haben unser Passivhaus-Projekt evaluiert und es mit einem Haus mit Solarthermie und mit einem Haus mit gutem „normalem” energetischem Standard verglichen. Beim Energieverbrauch für Heizen hatte das Passivhaus die Nase vorn. Bei der Nutzflächeneffizienz schnitt das Passivhaus deutlich schlechter ab. Der Energieverbrauch fürs Heizen ist geringer – dafür belasten höhere Wartungs- und Regulierungskosten.

Eisinger: Das ist im konventionellen Wohnbau undenkbar.

Warum? 

Eisinger: … weil ich gewaltige Flächenverluste in Kauf nehmen muss, die dem Erfordernis des kostengünstigen Bauens zuwiderlaufen. Bei Büroflächen habe ich eine homogene, gleichmäßige Nutzung und ich kann mit einer gleichmäßigen Wärmeversorgung arbeiten.

Weil Sie Baustoffe und Primärenergiebedarf angesprochen haben: Spielt das bei Ihnen in der Planung eine Rolle?

Kallinger: Es ist nicht egal, wieviel Material man bei der Herstellung verbraucht. Slim Building ist in dieser Richtung ja auch kosten- und ressourcenbestimmend, jedoch noch immer eine Art Massivbau, aber nicht in dem Sinne, dass man Gewicht für die Konstruktion braucht, sondern in erster Linie für den Schallschutz.

Eisinger: Das tragende Rahmengerüst ist mit einer Stärke von nur 12 Zentimetern rund 30 Prozent schlanker als herkömmliche Massivkonstruktionen und bietet damit einen deutlichen Nutzflächen-Vorteil. Bei großen oder sehr hohen Gebäuden bis zu 21 Stockwerken beträgt dieser Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen Massivbauten etwa fünf Prozent. Wir haben zum Beispiel auch 20 Prozent Gewichtersparnis. Das ist durch den geringeren Ressourcenverbrauch auch ein ökologischer Faktor und schlägt sich logischerweise in den Baukosten nieder.

Man muss auch nicht so schwere Trümmer durch die Gegend schleppen. Die Fertigteile sind schlanker und leichter. Wir haben auch einen höheren Vorfertigungsgrad. 

Kallinger: Vor allem im Osten Österreichs verläuft das aber extrem träge. Großunternehmen wie zum Beispiel die STRABAG machen die Musik. Unser System ist eine Kampfansage. Nichts gegen die STRABAG – aber ihr System ist ausgereizt und nicht mehr zukunftsträchtig. Sind wir uns ehrlich: Die Bauträgerbranche ist die einzige Branche, die glaubt, ohne Forschung und Entwicklung zurechtzukommen. Auch bei den ersten Bauträgerwettbewerben der gemeinnützigen Wohnwirtschaft gab es einen Aufschrei, das sei zu teuer.

[caption id="attachment_10162" align="aligncenter" width="662"]eisinger-sewald-ing-stefan-_-kallinger-dr-winfried-_-kallco-_-13 © cityfoto[/caption]

Waren die Bauträgerwettbewerbe nicht eine Idee von Ihnen?

Kallinger: Das ist richtig, dass ich da involviert war. Als wir damals die Architekten in den ersten Bauträgerwettbewerben honoriert haben, da habe ich mir von der Branche anhören können, dass ich die Preise ruiniere. Natürlich kann man einen Wettbewerb verlieren. Dennoch glaubt die Branche, dass sie keine Innovation braucht – das ist sehr kurzsichtig.

Eisinger: Denken Sie zum Beispiel an erneuerbare und nicht erneuerbare Energiequellen. Die Stadt zerbricht sich seit Jahren den Kopf, wie man günstiger und ressourcenschonender mit dem Planeten Erde umgehen kann. Es nicken alle brav mit dem Kopf, aber Zeichen setzten will niemand.

Kallinger: Ein Beispiel: Vor einigen Monaten wurde im Rahmen der Wohnbauoffensive ein Förderungsmodell für 1.000 Wohnungen im temporären Wohnbau angekündigt. Voraussetzung: Die Baukosten müssen um 25 Prozent niedriger sein als im konventionellen Wohnbau. Wer hat aufgezeigt? Die Kallco und die Siedlungsunion, sonst niemand. Wir nehmen das Risiko, mit weniger auskommen zu müssen. Und die anderen Bauträger sitzen da und machen nichts. Das ist absurd, die verzichten auf die Möglichkeit, 1.000 Wohnungen zu produzieren.

Im Office-Bereich beginnen sich All-In-Mieten langsam durchzusetzen. Wie ist ihre Einschätzung für das Segment Wohnen?

Kallinger: All-In-Mieten sind eine Notwendigkeit. Der Mieter sieht jeden Monat in seiner Vorschreibung, ob er sich das leisten kann oder nicht. Die Leute schauen auf die Gesamtkosten.

Es wird auch notwendig sein, sich in Zukunft intensiver mit Alternativenergien auseinanderzusetzen. Die Bauträger beschäftigen sich nur sehr peripher damit. Nachdem sich herausgestellt hat, dass es bei Photovoltaik durch die mangelnde Effizienz schwer ist, den Energiegewinn auch wirklich optimal zu nutzen, haben wir uns in den letzten zwei Jahren mit einem System in Richtung Tiefenbohrungen befasst. Man nutzt den Energiespeicher Erde im Winter zur Gewinnung von Energie fürs Heizen und puffert im Sommer aus der Gebäudemasse wieder Wärmeenergie ins Erdreich ein, ähnlich einer wiederaufladbaren Batterie.

Das Entscheidende gegenüber den bisherigen Systemen: Das Ganze kommt ohne Kühlaggregat aus. Das ist ein selbstlaufendes System. Wir brauchen nur Strom und Regelungstechnik, die ist aber deutlich einfacher als beim Passivhaus.