Der kleine Diktator

Die Szene spricht für sich: Am Osteuropa-Gipfel im Mai dieses Jahres in Riga begrüßt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den ungarischen Premier mit den Worten: „Hello, Diktator!“ und klatscht ihm auf die Wange.

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Die Szene spricht für sich: Am Osteuropa-Gipfel im Mai dieses Jahres in Riga begrüßt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den ungarischen Premier mit den Worten: „Hello, Diktator!“ und klatscht ihm auf die Wange. Der verdutzte Viktor Orbán läßt die Demütigung in einer Umarmung sprachlos ausklingen. Wer sich die amüsante Szene ansehen möchte, hier der Link: www.youtube.com/watch?v=juFxBhDSK9s Der alte Politfuchs Juncker hat den exakt richtigen Ton im Umgang mit Orbán gefunden, denn anders als mit geschickt verpackter Häme kann man „Stacheldraht-Viktor“ beim besten Willen nicht begegnen. Dieser lässt zum Machterhalt wirklich nichts unversucht; keine Maßnahme ist ihm zu plump, um nicht ein paar Prozent Zustimmung einer zum Großteil gleichgeschalteten, von korrupten Politikern ausgeräuberten und völlig desillusionierten Wählerschaft zu ergattern. „All politics are local“, sagen die Amerikaner nicht ohne Grund – und dieser Maxime folgt Orbán inmitten der Flüchtlingstragödie gnadenlos. Jetzt könnte man sagen, seine zum Teil völlig absurden Maßnahmen wären innerungarische Angelegenheit und gingen den „Ausländer“ nix an – wenn nicht Ungarn Teil der EU wäre und ihre Benefits mit offenen Armen empfinge. In der EU gelten Regeln, die auch von potenziellen Diktatoren und solchen, die es gerne sein möchten, eingehalten werden müssen. Und wenn der machthungrige Premier Agrarland von Ausländern zurück in den Schoß der Regierung holt, hat das auch durchaus handfeste monetäre Gründe: Denn der Staat kassiert erst einmal die EU-Agrarförderung, bevor er die Flächen irgendwann weiterverteilt. Ein willkommenes Zubrot zur Sanierung des wackeligen Budgets. Pläne der Regierung, ein Drittel des staatlichen Agrarlandes privatisieren zu lassen, stoßen auch beim Koalitionspartner Jobbik auf wenig Gegenliebe. Sie meinen, die Regierung habe keine Autorisierung dafür, Vermögenswerte von „national-strategischer Wichtigkeit“ zu privatisieren. Das ganze Verfahren sei „unehrlich und gegen die Verfassung“. Manche Oppositionspolitiker von den Sozialisten sehen die Regierung im „Mafiamodus“, um sich bis zu 380.000 Hektar Land anzueignen und die Agrarflächen „ihren Günstlingen zuzuschanzen“. Wie die neuen Agrargesetze dem EuGH schmecken werden, lässt sich noch nicht abschätzen – anzunehmen ist, dass Ungarn und auch andere Ostländer sie rasch werden fallen lassen müssen. Dass Viktor Orbán, der sich auch schon einmal - hatschert übersetzt - als „Beschützer“ Österreichs bezeichnete, und seine rechten Recken vom Koalitionspartner, die auch eine eigene Schrift für Ungarn fordern (an manchen Ortstafeln sieht man ihre runenähnlichen Zeichen bereits unterhalb der regulären Schilder), Investoren auch auf dem Immobiliensektor in Scharen vergraulen, kann auf Dauer nicht gesund sein – der Markt liegt bereits am Boden. Vor einigen Jahren wurde in Budapest in einem ganzen Jahr nur eine einzige größere Immobilie verkauft; Abschläge von 50 Prozent auf den gewünschten Verkaufspreis waren schon davor traurige Normalität. Allerdings: Wer günstig non-agriculture-Flächen erwerben will und starke Nerven hat, für den ist jetzt sicher ein guter Einstiegszeitpunkt.