Die Psychologie des Großraumbüros

Es wird viel auf das Farbkonzept geschaut und weniger auf die Akustik. So sehr die Türme auch in ihrer Architektur begeistern, die Menschen, die darin arbeiten, hadern oft mit ihrem Arbeitsumfeld.

von 0 Minuten Lesezeit

Lernprozesse. Es wird viel auf das Farbkonzept geschaut und weniger auf die Akustik. So sehr die Türme auch in ihrer Architektur begeistern, die Menschen, die darin arbeiten, hadern oft mit ihrem Arbeitsumfeld.

Hildegard Weinke weiß, dass so manche Großraumbüros ihre Tücken haben. Die Expertin der Arbeiterkammer (AK) der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit weiß von zahlreichen tendenziell wenig positiven Rückmeldungen zum Thema Großraumbüro zu berichten. Und sie weiß auch, wo die Wurzel des Übels liegt: „Mitarbeiter sind nur mäßig in die Planung neuer Büros eingebunden.“ Freilich gibt es bei der Gestaltung von Büroarbeitsplätzen gewisse Vorschriften, z.B. wie Bildschirmarbeitsplätze auszusehen haben. Es soll keine Blendungen geben – weder von Sonne noch von künstlichem Licht – oder Reflexionen. Weinke: „Da lauern viele Gefahren für Mitarbeiter und das ist im Nachhinein oft schwer zu korrigieren.“ Natürlich sind Glasfronten von der Decke bis zum Boden durchaus positiv zu sehen: „Da kommt zwar viel Licht hinein, das ist gut. Aber dafür gibt es immer die Gefahr der Blendung.“ Das Ausmaß an (Sonnen)Licht hat auch Auswirkungen auf die Luft, weiß die AK-Expertin: „Die Klimaanlage muss voll arbeiten. Nicht nur wegen des Lufttauschs, sondern auch zur Kühlung.“ Denn diese modernen Glasfassaden erhitzen sich rasch. Das Thema Klimatisierung ist in Büros mit vielen Mitarbeitern schwer handzuhaben: „Man kann es kaum allen recht machen, der eine will es eher kühl, dem anderen ist dauernd heiß, Luftzug ist ohnehin immer ein Thema“, so Weinke.

Zu wenig Privatsphäre

Zweiter wichtiger Themenblock: Lärmentwicklung. „Da leiden viele darunter“, erzählt die Arbeitnehmerschutz-Expertin von Berichten, dass zu wenig Privatsphäre am Arbeitsplatz herrscht. Aber auch, dass konzentriertes Arbeiten schwierig wird, wiewohl „Einzelkabinen“ hier unterstützen sollen, so Weinke. Positiv findet sie, dass Farbkonzepte im Büroalltag Einzug gehalten haben, mit einem Haken: „Es ist bunt und die Farben wirken angenehm. Aber ergonomische Sichtweisen kommen meist zu kurz“, weiß die AK-Expertin aus Praxisrückmeldungen: Man sorge zwar in den Besprechungsräumen mit bequemer Couch und einem Couchtisch für ein nettes Feeling und eine lockere Atmosphäre, aber „Wohnzimmerausstattungen entsprechen nicht den ergonomischen Arbeitsplatzanforderungen". Ambivalent ist für Weinke auch das gut gemeinte Aufbrechen von hierarchischen Strukturen: „Vom Chef bis zum Mitarbeiter sitzen alle gleichwertig im (Großraum)Büro. Doch dann gibt es dennoch Rückzugsbereiche extra für die Chefs, also gibt es wieder eine hierarchische Struktur.“ Was die richtigen Anschlüsse bzw. Computerarbeitsplätze betrifft, meint Weinke, dass oftmals viel Zeit dafür aufgewendet wird, den geeigneten Arbeitsplatz zu finden, damit alle Systeme funktionieren: „Bei Laptops ist das zwar weniger problematisch, aber wo fixe Computerarbeitsplätze sind, wird’s schon schwierig. Bei ständiger Arbeit mit Laptops muss wiederum auf die richtigen Einstellungen für Bildschirmarbeitsplätze geachtet werden.“ Ihr Ratschlag: „Betriebsräte, Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte in die Planung miteinbeziehen.“ Wünschenswert ist, wenn Architekten Bedacht auf geeigneten Arbeitnehmerschutz nehmen und diesen von Anfang an mitplanen, so Weinke.

Mehr Farbe, weniger Akustik

Ingrid Reifinger-Hütter kann die Arbeitnehmer-Probleme in Sachen Großraumbüros nur bestätigen. Die Expertin des ÖGB der Abteilung Sozialpolitik, Gesundheitspolitik und ArbeitnehmerInnenschutz ortet auch in der Lärmentwicklung das größte Ärgernis für die Beschäftigten. Was ihr ebenfalls auffällt: „Es wird viel auf das Farbkonzept geschaut und weniger auf die Akustik. Später, wenn der Leidensdruck zu groß wird, werden nachträglich Maßnahmen gesetzt wie z.B. schallabsorbierende Materialien.“ Dass unnötige Lärmquellen wie Kopierer in einem eigenen Raum verstaut werden, ist schon längst Usus. Natürlich, so Reifinger-Hütter, sei das alles zunächst nicht gesundheitsschädlich, aber störend und belastend: „Das Ohr hört alles mit, auch wenn daneben nur telefoniert wird.“ Auch ihre Empfehlung lautet: Arbeitsinspektorat miteinbeziehen. Denn was wohl viele nicht wissen: „Wir beraten auch Betriebe.“

Geänderte Anforderungen

Freilich sind die beschriebenen Eindrücke mit der Vielzahl an technisch ausgefeilten Möglichkeiten, die beispielsweise die gesamte Facility Management-Palette zu bieten hat, wohl nur bedingt auszugleichen. Haben sich doch die Anforderungen an zeitgemäße Büroflächen in den letzten Jahren stark verändert, wie Thomas Zäuner, Prokurist bei der ÖRAG, zuständig für die Liegenschaftsverwaltung, weiß: „Nutzer wünschen sich die bestmögliche Ausgewogenheit zwischen Architektur, Technik, Produktivität, Nutzerbefinden und Kostenstabilität im Betrieb." Bei neu entwickelten Office-Objekten ist dies in optimierter Weise durch effiziente Großraumlösungen und den Einsatz entsprechend hoch technisierter Anlagen zu erreichen.“ Naturgemäß steht man damit aber vor entsprechenden Herausforderungen.

Insbesondere die Balance im Verhältnis zwischen den individuellen Bedürfnissen der Nutzer und den Einstellungen (bzw. Einstellungsmöglichkeiten) der technischen Anlagen ist eine große Herausforderung, erzählt Zäuner: „Errichtung und Betrieb dieser Anlagen sind durch eine Vielzahl von gesetzlichen Bestimmungen und den jeweiligen Stand der Technik umfangreich geregelt. Selbst wenn alle diese Anforderungen eingehalten werden, sind Probleme aber nicht ausgeschlossen.“ So empfinden Nutzer von Großraumbüros dieselbe gemessene Raumtemperatur oft in unterschiedlicher Art und Weise. Dazu kommen psychologische Effekte, wenn z.B. Fenster nicht öffenbar gestaltet sind, großflächige „kalte“ Glasfassaden vorhanden sind  oder Zugluft spürbar ist: „Viele Anlagen können nicht alle gewünschten Einstellungen umsetzen – teilweise aufgrund der Anlagenart an sich, teilweise auch aufgrund bestehender Bestimmungen“, berichtet der ÖRAG-Prokurist aus der Praxis: „Ein gutes Beispiel dafür ist die mögliche bzw. zulässige Spreizung der Außentemperatur zur Innentemperatur bei Kühlungsanlagen: Ab einer gewissen Außentemperatur ist die Kapazität der Anlage ausgeschöpft und es kann nicht noch stärker gekühlt werden.“ Dazu kommt, dass auch die besten Anlagen nicht völlig störungsfrei sind. Zäuner: „Trotz sorgfältiger Wartung können Anlagen ausfallen und tun das oft dann, wenn es besonders auffällt: Die Kühlung, wenn eine Hitzewelle herrscht, und die Heizung, wenn es gerade sehr kalt ist.“

Optimierte Planung

Alfred Waschl, Geschäftsführer der CaFM Engineering GmbH, sieht eine ähnliche Problematik: „Projekte scheitern am Anfang, nicht am Ende. Damit will ich sagen, dass der Planungsprozess derjenige ist, der in den nächsten Jahren optimiert werden muss.“ Unter Optimierung versteht er die Bewusstseinsbildung bei den Planenden, den Nutzer in den Mittelpunkt der Planung zu stellen und nicht die Modernität des Baustiles oder den Namen des Architekten: „Gute Bauherren mit hoher Bestellerqualität binden Facility Manager schon in der Planungsphase mit ein. Dort sind die Hebel für sinnvolle Veränderungen am größten – vorausgesetzt, dass der Facility Manager auch in der Planung fachlich gerechtfertigt eingreifen kann.“ Waschl sieht die Problematik aber auch aus einem anderen Blickwinkel: „Eine Ablehnung dieser Arbeitsplätze wird primär von Leuten getragen, die in der vormaligen Struktur ein Einzelbüro hatten, oder von Personen, die es gewohnt waren, einen Palmengarten im Büro zu züchten.“ Lernprozesse in einer multifunktionalen Fläche sind mit Sicherheit in Bezug auf die Lautstärke bei Telefonaten oder im Umgang mit Kundenbesuchen oder bei Personalgesprächen notwendig, ist Waschl überzeugt.

Christian Call, Bereichsleiter Business Development bei Energiecomfort, ergänzt: „Ich sehe das Problem weniger in der technischen Machbarkeit, sondern mehr im menschlichen, im psychologischen Bereich. Ich glaube, wir Menschen schaffen uns gerne ein Territorium, das wir in Besitz nehmen können, gleichsam ‚markieren‘, indem wir dort unsere Unterlagen nach dem ganz eigenen System anordnen, ein Foto von der Familie oder Pokale oder auch Pflanzen platzieren und so für uns selbst ein positives Setting schaffen.“ Die Technik, so Call, sei nicht das Problem: „Es ist der Paradigmenwechsel. New World of Work beginnt im Kopf, nicht bei der Gebäudetechnik.“ Daher glaubt er auch, dass sich in Zukunft die Suche nach dem richtigen Ladekabel erübrigen wird, wenn bei „Energy Hot Spots“ die unzähligen Devices per Induktion aufgeladen werden können.

Psychologische Aspekte

In die psychologische Kerbe schlägt auch Robert Punzenberger, Geschäftsführer der Fix Gebäudesicherheit und Service GmbH: „Aus FM-Sicht liegt es daran, dass die wenigsten Mitarbeiter in einem Großraumbüro arbeiten möchten. Viele schaudert es gar, wenn sie nur an ein Großraumbüro denken.“ Nach seiner Erfahrung gibt es viele negative Einflüsse auf Mitarbeiter in Großraumbüros: Das ständige Kommen und Gehen von Kollegen, ein hoher Lärmpegel durch z.B. parallel stattfindende Telefonate oder Gespräche sowie Unterbrechungen durch häufiges Nachfragen: „Mitarbeiter in Großraumbüros leiden unter Konzentrationsschwierigkeiten, einem hohen Lärmpegel, mangelnder Privatsphäre, geringer Produktivität und Motivation, höherem Konfliktpotenzial und erhöhter Ansteckungsgefahr bei Erkältungen.“ Eine wirklich optimale Lösung für solche Situationen hat auch er nicht zur Hand, denn: „Wenn man sich nicht wohl fühlt, hilft die beste Technik nichts.“ Es scheitere aber auch oft an guter Technik, ist der Fix-Geschäftsführer überzeugt: Beispielsweise an der Lüftung, wenn es zu wenige Einbringöffnungen für Frischluft gibt. Unangenehm wird auch ein Arbeitsplatz direkt unter einer Einblasöffnung empfunden, weiß Punzenberger. Weitere kritische Aspekte sind der zentral gesteuerte Sonnenschutz oder das Licht: „Zuhause kann jeder seinen Sonnenschutz oder das Licht selbst steuern, warum nicht auch im Büro?“ Bei flexiblen Arbeitsplätzen bzw. nicht fixen Arbeitsbereichen beschreibt er ein ganz anderes Problem: „Es fühlt sich keiner verantwortlich. Vielen ist egal, wie dieser Platz aussieht. Freilich gibt es auch keine Möglichkeit für eine persönliche Note.“ Der Elektroanschluss bzw. die Andock-Station sei hier oft das geringere Problem: „Wir merken, dass häufig nicht die Technik bzw. das System, sondern die Befindlichkeit am Arbeitsplatz der Auslöser für unzufriedene Mitarbeiter ist.“ Gute Lösungsansätze für Punzenberger sind z.B. 2er, 4er, 6er Büros oder abgeschottete Kojen. Sein etwas ernüchterndes Resümee: „Die bei Großraumbüros eingesparten Wände werden mit Sicherheit durch zusätzliche Schränke, mehr  Pflanzen, kleine Trennwände sowie eine geringere Arbeitseffizienz mehr als kompensiert.“

Frühzeitiges Einbinden von FM-Experten

Für ein frühzeitiges Einbinden facilitärer Experten plädiert jedenfalls Albert Pilger, Geschäftsführer von PFM: „Wir brauchen Konzepte, die in der nachfolgenden Planung und Ausführung dann auch umgesetzt werden, die einerseits die Interessen der MitarbeiterInnen berücksichtigen und andererseits sowohl die Investitionskosten als auch die Bewirtschaftungskosten optimieren.“ Fehlende Konsequenz bei der Zielsetzung ortet Pilger aber nicht nur beim Bauherrn: „Oft ist feststellbar, dass sich das Interesse an den jeweils anderen Gewerken in Grenzen hält oder auch ein Minimum an Basiswissen aus den anderen Bereichen nicht vorhanden ist. Wie soll hier ein optimales Gebäude inklusive eines neuen Arbeitsplatzkonzeptes geplant und erstellt werden?“ Die Themen der Gebäudeautomation und eines CAFM-Systems (Computer Aided Facility Management) würden meist viel zu spät bearbeitet und entschieden werden, kritisiert Pilger, und fallen damit auch Streichungen durch Kostenüberschreitungen in anderen, bereits realisierten Bereichen zum Opfer.

Ähnlich beurteilt auch Gerhard Haumer, Geschäftsführer bei Alpha & Partner Immobilien Consulting, die Problematik: „Es gibt glücklicherweise immer mehr Projektentwickler, die auf die Kompetenz von FM-Beratern zurückgreifen und diese rechtzeitig in die Projektentwicklung integrieren.“ So reiche es nicht, z.B. nur die notwendige Bestandsdokumentation festzulegen, aber keinen Prozess zu vereinbaren, der eine zeitgerechte Übergabe der Bestandsdokumentation gewährleistet. Und die Zeit ist ein wichtiger Faktor, so Haumer, nur so könne eine wesentliche Beeinflussbarkeit der wichtigen Bereiche umgesetzt werden: „Im Nachhinein können nur mehr geringe Einflussnahmen vorgenommen werden. In diesen Fällen sind dann ausschließlich „Bestandsoptimierungen“ möglich.“ Freilich werden die technischen Anlagen immer komplexer und komplizierter, räumt Haumer ein, ein zentrales Thema sei immer wieder eine nicht vollständige Bestandsdokumentation zur Übernahme und Inbetriebnahme. Und noch einmal der Zeitfaktor: Auf Grund des Zeitdrucks würden die notwendigen Prüfungen im Realbetrieb nicht ordnungsgemäß durchgeführt, berichtet der Alpha-Geschäftsführer aus der Praxis.

Nischenstruktur

Energiecomfort-Experte Christian Call benennt einen weiteren problematischen Großraum-Effekt: „Wir finden nun zwar großräumige Büros vor, aber mit vielen kleinen Nischen, eine sehr kleinteilige Struktur, manche vielleicht nicht größer als eine Telefonzelle, zwischendrin ein paar Kaffeehaus-Stehtische statt Besprechungsräumen.“ Dadurch sei einerseits die Reinigung leichter, weil große Räume schneller zu reinigen sind. Andererseits habe man viele unterschiedliche Nutzer in den Kleinräumen. Das bewirkt, so Call, dass man von der Reinigung nur nach Büroschluss und strikten Leistungsverzeichnissen wegkommen und man sich gemeinsam mit den Auftraggebern noch mehr am Bedarf orientieren müsse: „Also z.B. auch tagsüber zwischendurch reinigen und auch zusätzliche Dienstleistungen wie Vorbereitung und Nachbereitung von Meetings anbieten.“

Quelle: Fotolia