Ein Blick in die Zukunft

Realitätsnah. Gebäude zu betreten, bevor sie überhaupt gebaut wurden. Wohnungen besichtigen, ohne wirklich vor Ort zu sein. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre das unvorstellbar gewesen, in wenigen Jahren – oder vielleicht nur Monaten – wird es zum State of the Art werden. Möglich macht’s Virtual Reality (VR).

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Realitätsnah. Gebäude zu betreten, bevor sie überhaupt gebaut wurden. Wohnungen besichtigen, ohne wirklich vor Ort zu sein. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre das unvorstellbar gewesen, in wenigen Jahren – oder vielleicht nur Monaten – wird es zum State of the Art werden. Möglich macht’s Virtual Reality (VR).

Obwohl 2D-Renderings nach wie vor am häufigsten nachgefragt werden, darf man die neue Technologie und ihre Potenziale für die Immobilienbranche nicht unterschätzen. In den letzten Monaten hat sich viel getan. „Wir nennen es auch die ‚Zukunft der Besichtigung’. In fünf bis zehn Jahren wird es keine Fotos mehr geben“, führt 3motion Geschäftsführer Christian Friesenegger aus. Für Bauträger und Makler, aber auch Architekten oder die Hotellerie stellen 3D-Visualisierungen einen großen Mehrwert dar. Auch für den (Fertigteil-)Hausmarkt könnte VR relevant sein – überraschend, dass dieses Segment das Konzept noch eher kritisch betrachtet.

Besichtigungen sind für Makler zeit- und personalaufwändig. Diese Art der Vorinformation erspart eine wesentliche Anzahl der Schließgänge und auch die Haltezeiten werden verkürzt. „Das ist ein echtes Win-win-Tool, weil beide sich freuen, dass sie nicht umsonst zur Wohnung fahren müssen“, so Architektin Anne Wagner von DEEPINTERFACE.

Auch Augmented Reality – eine spezielle Unterart von Virtual Reality, wie Wagner es beschreibt – bietet zukünftig seine Vorteile und spielt vor allem bei Home Staging eine Rolle. So kann man auf seinem Tablet durch die Kamera beispielsweise Möbel in einen leeren Raum einblenden und sich so ein Bild der vielleicht zukünftigen Wohnung machen. Ein lustiges Beispiel präsentiert IKEA mit seiner Katalogwerbung. Auch wird diese Art der Visualisierung auch verwendet werden, um noch bestehende Baulücken mit Hilfe eines Tracking-Punktes zu füllen und das fertige Gebäude von außen betrachten zu können.

[caption id="attachment_10443" align="alignleft" width="263"]© cityfoto © cityfoto[/caption]

Der kleine aber feine Unterschied

„Aktuell ist man mit 360°-Fotorundgängen schon ‚spacig’. Diese sind im Vergleich auf sehr niedrigem Niveau – und selbst das kennen und machen viele noch nicht“, erörtert Friesenegger. 3motion will Tools für Bauträger entwickeln, mit denen die Visualisierungen am besten darstellbar sind. „Wir gehen vom reinen Produkt einen Schritt weiter. Wie können sie diese Tools am besten einbinden, z.B. in die Homepage?“

Etwas verwunderlich stellt sich die unterschiedliche Herangehensweise der Erstellung von VR-Visualisierungen dar. Wagner präzisiert: „VR kommt von der Stereoskopie. Die Technik ist uralt – quasi neuer Wein in alten Schläuchen!“ So erstellen die Architekten von DEEPINTERFACE bei Bestandsimmobilien VR-Rundgänge hauptsächlich auf Basis von 360°-Fotos der Räume. Beim Neubau werden Renderings zu Rundgängen zusammengefügt und diese dann verwendet oder anhand eines 3D-Modells gearbeitet. Hier bleibt das Unternehmen aber beim Wesentlichen und arbeitet abstrakt. Auf detailreiche Texturen und fotorealistische Materialbelegungen wird inzwischen verzichtet.

3motion arbeitet rein mit dem Programmieren von Objekten und Gebäuden. „Das funktioniert so, dass wir einen Grundriss brauchen – CAD, PDF – und ein paar Ausstattungsmerkmale, aus dem bauen wir die Wohnung nach“, erklärt Friesenegger. Der Austausch von (BIM-)Daten könnte hier sehr hilfreich sein, wobei die Datenmenge reduziert werden müsste. „Dabei ist das BIM-Model an und für sich nicht so wichtig – aber die Idee dahinter ist die gleiche.“

Mehrere zusammenhängende Module

Zur Erstellung wird aber kein spezielles Programm verwendet, sondern mit mehreren zusammenhängenden Modulen gearbeitet. Dabei werden die Visualisierungen so realistisch programmiert, dass nicht durch Wände oder Gegenstände gelaufen werden kann. Spiegelungen und Lichteffekte werden ebenso berücksichtigt. So besteht auch die Möglichkeit, komplette Konzepte für Wohnhäuser zu schaffen, in denen man mit dem virtuellen Lift von einer Wohnung in die andere fahren kann. Eingerichtet werden Wohnungen nach Kundenwunsch. Es ist jedoch zu bedenken, dass für jede nicht vorarb geplante Änderung aktuell noch der Experte beauftragt werden muss. Kleine Details – wie zum Beispiel die Änderung der Wand- oder Möbelfarbe – können zwar selbstständig vom Endnutzer angepasst werden, diese müssen jedoch von Beginn an genau definiert und programmiert werden, um sie durchführen zu können. Es handelt sich eher um vorgegebene Optionen, um eine kleine Palette an Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Außerdem können in die unterschiedlichen VR-Visualisierungen Zusatzinformationen wie Bild, Ton oder Video hineingepackt werden.

Benutzung

Die VR-Welt wird von der Spieleindustrie getriggert und hat die Entwicklung stark vorangetrieben. So haben diejenigen, die Computerspiele bedienen können, auch einen Startvorteil in der Benutzung. Hier unterscheidet man zwei Arten von Brillen. Es gibt VR Brillen, die hochauflösende kleine Bildschirme für jedes Auge nutzen und über Kabel mit dem PC verbunden sind, wie die Oculus Rift oder HTC Vive. Diese Brillen bieten hohe Qualität und ein richtiges Eintauchen in die VR-Welt. Google hat 2014 die sogenannte Cardboard entwickelt, die in Kombination mit dem Smartphone genutzt wird. Eine App oder WebProgramierung erzeugt auf dem Telefon ein stereoskopisch nutzbares Doppelbild  von  Fotos, Filmen, interaktiven 3D-Modellen oder 360°-Anwendungen. Voraussetzung für Smartphones sind Gyrosensoren, die Bewegung, Drehung und Raumlage wahrnehmen. Außerdem ist eine entsprechende Displaygröße und -auflösung erforderlich. Diese Cardboards sind mit 5 bis 20 Euro in den Anschaffungskosten ein Billigprodukt und bieten eine gute Alternative zu den hochauflösenden VR-Brillen. Aber auch hier gibt es qualitativ bessere Ausführungen, wie die Samsung Gear. Diese sind elektronisch mit dem Smartphone verbunden.

„Es kommt jedoch immer darauf an, dass die Bedienung intuitiv ist und man keinen anderen braucht, der einem das erklärt“, weist Friesenegger hin. Um die weitere Entwicklung voranzutreiben, wird nach Investoren gesucht.

Während sich 3motion darauf konzentriert, bis Mitte 2017 bestmögliche Automation der Arbeitsschritte zu erreichen und darauffolgend selbstständiges Einrichten ohne fremde Hilfe zu ermöglichen, hat DEEPINTERFACE andere Ziele. Bis Ende 2017 wollen sie Server-Software zur Verfügung stellen, die es den Nutzern ermöglicht, selbstständig VR-Rundgänge aus 360°-Fotos zu erzeugen.

[caption id="attachment_10444" align="alignright" width="244"]© cityfoto © cityfoto[/caption]

App oder keine App – das ist hier die Frage!

Während man für VR-Visualisierungen von 3motion eine App für sein Projekt mitgeliefert bekommt, legt deepinterface großen Wert darauf, ohne Apps und zusätzliche Programme auszukommen. Dies ist für Wagner auch ein wichtiger USP. Alle 3D-Applikationen laufen im Web, der Kunde braucht nur einen Link. Dieser kann manuell oder per NFC-Chip (near filt communication) im Cardboard geöffnet werden. „Wenn jeder Makler und Entwickler mit einer eigenen App auf den Markt kommt, wird es bald niemanden mehr interessieren, eine davon runterzuladen.“ Auch der Mitbewerber gesteht: „Eine App macht nur für regelmäßige Nutzer, wie Bauträger oder Maklerunternehmen, Sinn – bei der Vermarktung reagieren die Kunden jedoch äußerst positiv auf das Angebot.“ Auch könne der User selbst entscheiden, welche Daten heruntergeladen werden – somit kommt es zu keinem Problem bei der Datenfrequenz.

In den Kinderschuhen

Wie bei jeder neuen Technologie gibt es auch Schwachpunkte. Die Auflösung bei den Cardboards ist unscharf. Dies hängt damit zusammen, dass die Smartphones noch nicht so weit entwickelt sind. So ist man hier also auch von anderen Branchen abhängig. Die hochqualitativen VR-Rundgänge auf den mit dem PC verbundenen VR-Brillen sind zwar um Welten besser, dennoch stört man sich gegebenenfalls an verpixelten Bildern.

Ebenso brauchen hochqualitative Auflösungen mehr Zeit bei der Erstellung und extrem gut ausgerüstete Endgeräte mit großen Grafikkarten und sind so für den Endkonsumenten im Alltag kaum geeignet. Deshalb arbeitet DEEPINTERFACE bei der Nutzung von 3D-Modellen mit Abstraktion. Das bedeutet, dass eingefügte Objekte in der Darstellung nur umrissen werden und auf detailreiche Gestaltung verzichtet wird. Es geht lediglich darum, das räumliche Verstehen zu fördern. „Hier kommt es dann zu Enttäuschungen, wenn es nicht so fotorealistisch ist, wie man erhofft hat“, so Architekt Richard Schaffranek, der mit DEEPINTERFACE zusammenarbeitet.

Dies hängt auch unmittelbar mit der benötigten Datenmenge zusammen. Hochauflösende VR-Visualisierungen sind über Smartphones aufgrund ihrer Größe nicht abspielbar – sowohl im Hinblick auf die Speicherkapazität als auch die Internetgeschwindigkeit. Auch die Simulation unterschiedlicher Tageszeiten ist eine Herausforderung, an der man derzeit arbeitet. Hier ist die Berechnung der Sonneneinstrahlung ein großer Aufwand. „Das Komplizierte ist die Verschiebung der Schatten in der Wohnung, wenn sich der Sonnenstand verändert“, schildert Friesenegger das Problem.

Auch ist man mit den großen VR-Brillen immer mit dem PC verbunden und kann sich nicht frei im Raum bewegen. Zum Erkunden der Umgebung werden Tastatur und Maus oder Gaming-Controller benötigt - doch hier stehe man nahe an einer Lösung.

Ein weiterer Nachteil ist die sogenannte VR-Übelkeit. Ist der erste Wow-Moment verflogen, kann sich schnell ein Schwindelgefühl breitmachen. Dies hängt damit zusammen, dass der Körper die gegebenen Informationen nicht mehr richtig verarbeiten kann, weil sie im Widerspruch zur Realität stehen. So kann bei den hochauflösenden VR-Brillen eine Besichtigung richtig anstrengend werden. Bei den Cardboards tritt diese Übelkeit seltener auf.

Auch AR ist von einer Ausreifung im Immobilienbereich noch weit entfernt. Das Problem hierbei ist das GPS – dieses ist noch viel zu ungenau. Schaffranek kritisiert: „Die AR-Modelle, die derzeit angeboten werden – wo man durch einen Tracker ein Haus auf den Bildschirm bekommt – sind eigentlich nutzlos. Viele Menschen haben Probleme, Pläne zu lesen, und bekommen dadurch auch keinen räumlichen Eindruck vom Gebäude.“ „Es steckt noch in den Kinderschuhen“, wie Friesenegger betont. Auch sei 3D im Marketing noch nicht angekommen – „nirgendwo – geschweige denn im Immobilien-Bereich“, bemängelt Wagner.

Das liebe Geld

Die Preie für Visualisierungen weichen teilweise stark voneinander ab und sind auch immer von der Größe des Projektes und den  Details abhängig. „Bei kleineren Wohnungen ist man beim Berechnen etwas genauer, bei großen Projekten wird manche Kleinigkeit nicht extra verrechnet“, so Friesenegger von 3motion.  Eine 3-Zimmer-Wohnung sei bereits ab 2.000 Euro machbar. Grundsätzlich kann man sagen, je luxuriöser und hochpreisiger eine Wohnung ist bzw. je größer ein Projekt ist, desto eher zahlt es sich aus, eine VR-Visualisierung zu erstellen. Die Preise fallen dabei noch sehr unterschiedlich aus. Durch schrittweise verstärkte Automatisierung will 3motion auch versuchen, den Preis zu reduzieren, um auch für kleinere Objekte attraktiv zu werden. Auf die Frage, ob sich Makler so nicht ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie eines Tages für Besichtigungen nicht mehr benötigt werden, antwortet Friesenegger gelassen: „Das kommt auf die Definition des Maklers an. Die Hauptaufgabe ist die Beratung und diese sollte auch in Zukunft mehr forciert werden – nicht die Tür aufzusperren. Dahingehend werden sich die guten Makler auch entwickeln.“

Wettbewerb nimmt zu 

Dennoch ist Österreich vorne mit dabei. Innerhalb der letzten Monate sei das Interesse im Bereich VR enorm gestiegen. Damit wird auch der Konkurrenzkampf größer. Friesenegger: „Wenn man von zwei auf vier anwächst, dann ist das schon eine Mitbewerbsverdopplung um 100 Prozent, aber der Markt ist noch übersichtlich.“ Vieles geschieht derzeit auch im Verborgenen. Dies sieht er aber auch positiv, „weil dadurch auch der Markt breiter wird.“ Momentan steht das Bekanntmachen der Technologie noch im Vordergrund, bald wird es darum gehen, besser zu sein als der andere. Noch handle es sich bei vielen um kein Produkt, sondern um eine Entwicklung. „3motion positioniert sich schon mehr als Produkt – wir haben eine Struktur. Ich weiß nicht, ob es schon so viele gibt, die so weit sind“, freut sich Friesenegger. Manche seien von der Qualität her ähnlich, im Preis aber wesentlich teurer. „Die Menüs, die automatisierte CAD-Datenaufbereitung, gutes Oberflächendesign mit intuitiver Menüführung zur Manipulation und Veränderung der Modelle sind die Stärken von DEEPINTERFACE. Da sind wir derzeit die einzigen, die das so machen“, behauptet auch Wagner. Bleibt abzuwarten, wer das Rennen letztendlich für sich entscheidet.


Virtual Reality (VR): Leitet sich aus der Stereoskopie ab und ist eine spezifische Art, computergenerierte Modelle oder Panoramabilder zu betrachten.

Augmented Reality (AR): Spezielle Unterart von VR. Überlagerung der Wirklichkeit mit digitalen Informationen, die durch sogenanntes Tracking ortsgenau eingeblendet werden.

Immersion: Beschreibt die Nähe zur Wirklichkeit und wird durch Aktivierung aller Sinne deutlich erhöht.