Ein Dachdecker könnte auch vom Dach fallen

Munitionsbergungen können in Österreich als freies Gewerbe ausgeübt werden. Dennoch tummelt sich nur eine überschaubare Anzahl an entsprechenden Unternehmern am heimischen Markt. Sicherheit und Zuverlässigkeit zählen in dieser Branche im Speziellen zu wichtigen Geschäftsparametern.

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Munitionsbergungen können in Österreich als freies Gewerbe ausgeübt werden. Dennoch tummelt sich nur eine überschaubare Anzahl an entsprechenden Unternehmern am heimischen Markt. Sicherheit und Zuverlässigkeit zählen in dieser Branche im Speziellen zu wichtigen Geschäftsparametern.

Kriegsrelikteortung, Identifikationsgrabungen, Formationsmessung, archäologische Prospektionen, Opfer- und Objektsuche – der Arbeitsalltag muss wohl spannend sein. Aber Peter Bartosch winkt ab: „Das klingt aufregender, als es wahrscheinlich ist.“ Bartosch ist einer von einer Handvoll in Österreich tätigen so genannten Munitionsbergeunternehmern. In der Nähe von Gänserndorf, in Hohenhau an der March nahe der Grenze zu Tschechien und der Slowakei, befindet sich sein Unternehmen, das er seit 2012 führt. Wie ist der Alltag dann, wenn nicht aufregend? „Wir befassen uns mit geophysikalischen Messungen, basierend auf Magnetometer- und Bodenradarverfahren. Mit diesen Verfahren ergeben sich vielerlei Möglichkeiten“, erzählt Bartosch. Eine davon sei eben die Sondierung von Bauflächen auf etwaige Hinterlassenschaften des 2.Weltkrieges. Das hört sich jetzt aber doch spannend an, aber der gelernte Sprengmeister winkt wieder ab: „Eine Sondierung läuft unspektakulär ab. Der zu untersuchende Bereich wird in Teilflächen unterteilt. Danach werden diese mit computergestützten Systemen in parallelen Spuren mit einem Spurabstand von einem halben Meter abgegangen. Die erhaltenen Daten werden auf einen Laptop übertragen und anschließend im Büro ausgewertet.“ Aufgrund dieser Daten erhalten die Auftraggeber – von Spitälern über die Asfinag, die ÖBB bis zu Wohnbauträgern, Chemiewerken oder Flughäfen - ein Gutachten mit Beschreibungen, Schlussfolgerungen, Fotodokumentation und empfohlenen Maßnahmen bei georteten Verdachtsstellen bzw. Anomalien für die weitere Vorgangsweise. Bei Verdachtsstellen wird nach Absprache mit dem Auftraggeber ein Termin festgelegt, um diese durch Identifikationsgrabungen abzuklären. „Dabei kann es dann schon interessanter werden. Zumindest, wenn sich der Verdacht auf sprengfähige Relikte bestätigt.“ Wie kommt man bloß auf die Idee, als Munitionsbergeunternehmer tätig zu sein? „Die Idee hatte schon mein Vater. Unser Unternehmen gibt es seit 1992. Ich bin damit aufgewachsen und beschäftige mich seit mittlerweile 20 Jahren damit.“ Die Motivation war natürlich, einmal das Familienunternehmen weiterzuführen: „Aber ohne Interesse geht das natürlich nicht sehr lange gut. Ein technisches Verständnis, geschichtliches Interesse, Lernfähigkeit und Reisebereitschaft sind zunächst einmal Grundvoraussetzungen.“ Er selbst ist mit seinem Unternehmen praktisch bundesweit, fallweise auch in England, Deutschland, Rumänien und der Schweiz tätig.

Sondierung ist Privatsache

In Österreich fallen die Arbeiten unter das freie Gewerbe. Eine spezielle Ausbildung ist nicht vorgeschrieben, erzählt der Firmenchef. Er selbst hat nach seiner Berufsausbildung zunächst einmal die Meisterprüfung für Maschinenbau und Automatisierungstechnik absolviert, danach die Prüfung zum Sprengmeister und mehrere Spezialkurse in Schweden und Deutschland. „Obwohl es ein freies Gewerbe ist, sollte man selbstverständlich sehr gut über die Messsysteme, Auswertung und Kampfmittel Bescheid wissen. Mein Vater ist Gerichtssachverständiger für die Kriegsreliktortung. Das ist auch mein nächstes Ziel.“

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Sein Tätigkeitsbereich beschränkt sich auf die Suche bzw. Ortung und das Freilegen von metallischen Gegenständen, insbesondere von Kampfmitteln aller Art. Ausgenommen ist die Entschärfung, Sicherstellung, Abtransport und Vernichtung von sprengfähigen Relikten. „Privatfirmen dürfen nur die Ortung und das Freilegen durchführen. Sobald sich der Verdacht bestätigt hat, melden wir den Fund der Polizei und dem Auftraggeber. Wir sichern die Fundstelle bis zum Eintreffen der Polizei ab. Sobald die Polizei vor Ort ist, übernimmt diese die Sicherung und verständigt für alles Weitere den Entminungsdienst.“ Was macht der Häuslbauer, wenn er beim Erdaushub für den Swimmingpool auf Handgranaten stößt? Private Auftraggeber seien überschaubar, erzählt Bartosch: „Ich glaube, die haben möglicherweise Angst, dass die Kosten explodieren bzw. zu hoch sind.“ Denn die Entsorgung durch den Bund (konkret durch den Entminungsdienst des österreichischen Bundesheeres) ist mit keinerlei Kosten für den Bauherrn bzw. Grundstückseigentümer verbunden. Die einzigen Kosten, die entstehen, sind, wenn eine Privatfirma wie eben Bartosch die Identifikationsgrabungen durchführt: „Und diese sind – das kann ich natürlich nur von uns behaupten - als eher gering einzuschätzen.“ Der Haken dabei: Zwar ist die Entsorgung durch den Bund kostenlos, aber dieser sieht sich nicht verpflichtet, selbst Sondierungen durchzuführen: Der Entminungsdienst übernimmt erst ab der Identifikation, sondiert keine Bauflächen. Diese Arbeiten führen eben private Firmen durch und das sei natürlich mit Kosten verbunden, erzählt der Sprengmeister: „Erst wenn im Zuge der Sondierung Verdachtspunkte festgestellt werden und diese durch Aufgraben als sprengfähige Relikte identifiziert werden, kommt nach der Polizei der Entminungsdienst zum Einsatz. Diesem obliegt alleine die Entschärfung, Abtransport und Vernichtung von Relikten. Jeder andere in Österreich macht sich strafbar, wenn er selbst damit hantiert.“ Ein Beispiel zur Illustration: Ein Unfall mit Blechschäden auf der Autobahn. Die Polizei kommt und nimmt den Sachverhalt auf, aber das Fahrzeug abzuschleppen, übernimmt eine Firma und nicht die Behörde. Der Polizeieinsatz wird nichts kosten, aber die Abschleppfirma. Diese Aufgabenteilung vermutet der Munitionsberge-Experte als Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkrieges: „Nach dem 2.Weltkrieg hat die österreichische Regierung auf mögliche Schadenersatzansprüche, die durch Blindgänger verursacht werden könnten, zu Gunsten der Alliierten verzichtet. Ich nehme an, dass daher die Kostenübernahme durch den Bund für die Entschärfung usw. stammt.“ Kann sich Bartosch an einen besonders aufregenden Fall erinnern? „Der Fund eines Bombenblindgängers ist immer spektakulär. Aufträge, die wir von Staatsanwaltschaften im Sinne der Opfersuche bekommen, sind meistens sehr bedrückend und solche kann ich dann natürlich nicht vergessen. Wenn wir um Unterstützung gebeten werden, würden wir trotzdem niemals ablehnen. Alleine schon, um unseren Beitrag zur Aufklärung zu leisten“. Tagtäglich werde er übrigens gefragt, ob seine Arbeit nicht gefährlich sei, berichtet Bartosch: „Meine Antwort darauf: Ein Dachdecker könnte auch vom Dach fallen. Klar ist das Aufgraben einer Verdachtsstelle mit einem Risiko verbunden. Jeder, der in diesem Bereich arbeitet, weiß, worauf es ankommt und geht dementsprechend vor.“ Gefährlicher wäre es da schon eher, wenn das Graben ohne vorherige Sondierung und ohne Auswerteergebnisse durchgeführt wird - das heißt, wenn beispielsweise auf einer Baustelle ohne Fachfirma gearbeitet wird und niemand über mögliche Verdachtsstellen Bescheid weiß: „Dabei kann ein Blindgänger leicht falsch erwischt oder sogar unerkannt abtransportiert werden. Die Sondierung bevor die Grabungsarbeiten beginnen, gehört aber mittlerweile zum Alltag für die Bauleiter.“

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Keine Wirtschaftskrise

Dass ihm das Geschäft ausgeht, diese Angst hat Bartosch nicht: „Unser Unternehmen gibt es bereits seit 1992. Seit 2012 habe ich die Leitung. Ich wüsste nicht, dass es einmal ein Jahr gegeben hätte, in dem die Anzahl der Aufträge zurückgegangen wäre.“ Von Jänner bis Anfang Mai 2015 habe sein Unternehmen bereits mehr Anfragen und Aufträge erhalten sowie Berichte erstellt als im gleichen Zeitraum 2014. Aber irgendwann einmal sind doch wohl alle Kriegshinterlassenschaften geborgen…? Bartosch: „Ich habe einmal eine Studie über die Beseitigung von Hinterlassenschaften in Deutschland gelesen. Dabei wurde geschätzt, dass es theoretisch noch ca. 100 Jahre dauert, bis in Deutschland alles beseitigt sein wird. Nein, ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft. Ich kann behaupten, dass wir einen sehr guten Ruf in dieser Branche haben.“ Und aufgrund dieser speziellen Marktkenntnisse gibt es auch keinen Anlass zur Besorgnis, ob der Markt einmal heiß umkämpft wird: „‘Ausländerproblematik‘ gibt es keine. Natürlich gibt es Firmen aus Deutschland, die hier und da ihr Glück in Österreich versuchen. Auch österreichische Firmen probieren auf dem Markt Fuß zu fassen. Da die Ausrüstung nicht billig ist und es sehr auf Können, Ausbildung und Erfahrung ankommt, bleiben unterm Strich vielleicht vier, fünf Firmen übrig, die seit mehreren Jahren bereits tätig sind.“ Was tatsächlich schwierig ist, so Bartosch weiter, sei der Zeitdruck: „Oft müssen wir kurzfristig Termine umlegen und einsatzbereit sein. Aber ich glaube, das ist typisch für unsere schnelllebige Zeit.“