Erfolgsprojekt

Die Schließung des Umfahrungsrings ist für den Vorstandsvorsitzenden der Wien 3420 Aspern Development AG Gerhard Schuster ein für den Wirtschaftsstandort Seestadt Aspern essenzielles Thema: „Wenn die Straße wirklich längerfristig verhindert wird, dann ist das Konzept, wie es 2007 beschlossen wurde, nicht zu halten.“

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Der Knackpunkt. Die Schließung des Umfahrungsrings ist für den Vorstandsvorsitzenden der Wien 3420 Aspern Development AG Gerhard Schuster ein für den Wirtschaftsstandort Seestadt Aspern essenzielles Thema: „Wenn die Straße wirklich längerfristig verhindert wird, dann ist das Konzept, wie es 2007 beschlossen wurde, nicht zu halten.“

Wie wichtig war für das Projekt Seestadt Aspern, dass die U2 vorher da war?

Gerhard Schuster: Das war extrem wichtig. Die Verwertungserfolge und die Zufriedenheit der ersten Bewohner, die hier eingezogen sind, wären ohne U-Bahn nicht denkbar. Die erste Besiedlungsetappe, die Verkehrsuntersuchungen und die Auslastungen der Garagen zeigen, dass die Fahrzeugdichte je Haushalt in der Seestadt ähnlich niedrig ist wie in den innerstädtischen Wohnbezirken 6, 7 oder 8 – und nicht so hoch wie in Stadtrandsiedlungen. Man fährt hier bewusst mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Rad oder geht zu Fuß. Viele Bewohner sagen, dass sie ohne Auto gut zurechtkommen.

Klingt nach jüngerer Zielgruppe?

Viele Jungfamilien mit kleinen Kindern – fast keine über 65-Jährigen. Der Anteil der über 65-Jährigen liegt bei der Größenordnung von 1 bis 2 Prozent. Es gibt aber auch Projekte, die ganz bewusst auf Mehr-Generationen-Wohnen setzen. In der nächsten Bauetappe gibt es eine Baugruppe, die ganz bewusst auf das Thema Versorgung älterer Menschen in Kombination mit Studentischem Wohnen und Jungfamilien setzt. Das Projekt will Synergien: Junge Menschen betreuen Ältere, die im Gegenzug auf die Kinder der Jungfamilien schauen. Ein interessantes Baugruppenkonzept. Die Initiatoren wollen ganz bewusst Personen, die nach so einer Kombination suchen.

Wann startet Bauphase 2?

Wir starten Ende nächsten Jahres. Geplant sind mehr als 1.100 Wohneinheiten. Dazu kommt noch ein Schulcampus mit Kindergarten, Volksschule und Neue Mittelschule, ein Jugendzentrum, eine ganze Reihe an Gewerbe- und Infrastruktureinrichtungen und ein weiterer Supermarkt für die Nahversorgung, eine städtische Bücherei und ein Gewerbehof für Dienstleistungen, die Büro- und Wohnnutzer brauchen – klassische Facility Manager, aber auch Handwerker, Serviceeinrichtungen, Tischler. Auch das Angebot an Gesundheitsdienstleistungen wird ausgebaut. Es werden auch spezielle Musik- und Sporteinrichtungen geschaffen. Ein Projekt nennt sich ganz bewusst „Le lac sportif“ – geplant sind eine Turnhalle, ein Fitnesscenter, aber auch Räume für Sportvereine. In einem anderen Projekt wird sich eine kleine Musikschule ansiedeln – Proberäume für Musikgruppen oder Musiklehrende inklusive. Eine möglichst bunte Mischung. Natürlich da und dort auch eingestreut kleinere Büros. In einem Objekt gibt es zum Beispiel Wohn-Ateliers, Co-Working-Einheiten, wo man im Erdgeschoß arbeitet und in den Stockwerken darüber wohnen kann.

Die Kombination Wohnen und Arbeiten ist in der nächsten Etappe ein ganz spezieller Schwerpunkt. Gemeinsam mit dem Wohnfonds Wien haben wir – selbst im geförderten Bereich – die Wettbewerbsbedingungen für die Bauträger so ausgearbeitet, dass ein etwa 20-prozentiger Nicht-Wohnen-Anteil bei jedem Projekt vorgesehen werden muss. Das können Kindergartenräume sein, Sport- oder Musikräume, aber auch eine Bücherei oder eben Büro- und Kleingewerberäume oder vereinzelt auch Wohnungen, die dann einen Arbeitsraum ausweisen – mit gesondertem Eingang.

Wird bewusst in Etappen errichtet? Theoretisch müsste der Druck von Seiten der Errichter so groß sein, dass man alles gleichzeitig bauen könnte?

Wir könnten hier sicher das doppelte Volumen für den Wohnbau zur Verfügung stellen. Mittlerweile auch im freifinanzierten Wohnbau. Zu Beginn lag der Schwerpunkt auf gefördertem Wohnbau. Die ersten 3.000 Einheiten hatten nur etwa 5 Prozent freifinanzierte Wohnungen. In der jetzigen Bauetappe, dem Seeparkquartier, werden – bis auf eine Ausnahme des geförderten Gästehauses der Wiener Universitäten – ausschließlich freifinanzierte Wohnungen errichtet: ca 700 an der Zahl. Die gehen mittlerweile auch problemlos.

Haben sich am Anfang keine Wohnbaugesellschaften getraut, freifinanziert zu bauen – oder war es eine strategische Entscheidung?

Das war eine strategische Entscheidung. Du kannst an einem Ort natürlich nicht gleichzeitig 3.000 freifinanzierte Wohnungen bauen und verwerten, das funktioniert nicht.

Wir steigern das sukzessive. Von Etappe zu Etappe wird der freifinanzierte Anteil größer. Das hängt auch von der Lage ab: Die attraktiveren Lagen am See oder Wohnungen mit Seeblick sind für freifinanzierte Wohnungen prädestiniert. Richtung Norden in die Nähe des Bahnhofs Aspern Nord mit Schnell- und U-Bahn wird der Anteil freifinanzierter Einheiten höher sein. Der zweite Grund, warum man in Etappen bauen muss, ist, dass das ganze Areal von der Umweltverträglichkeitsprüfung her geteilt ist. Die erste Etappe im Süden ist bereits genehmigt – die Bebauung erfolgt in Phasen. Für das Areal im Norden steht die Rechtskraft des UVP-Bescheides noch aus.

Hätte ein Privater mehr Probleme gehabt, das Grundstück zu entwickeln? Was bringt die Nähe der Shareholder der Wien 3420 Aspern Development AG zur öffentlichen Hand in der Bauabwicklung für Vor- oder Nachteile in der täglichen Zusammenarbeit?

Wüsste ich nicht. Wir sind als Entwicklungsgesellschaft eine Aktiengesellschaft, müssen auch wirtschaftlich arbeiten und kalkulieren. Ein Privater würde auch keinen wesentlich anderen Nutzungsmix hier durchsetzen können. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein Privater so ein riesiges zusammenhängendes Stück Grund hat. Das wird es sonst nirgends mehr geben. Die landwirtschaftlichen Flächen rundherum sind in der Regel Streifenflure im Privatbesitz. Es ist extrem schwierig, die irgendwie zusammenzukaufen, damit man vernünftige zusammenhängende Flächen entwickeln kann. Da ist das schon ein großer Vorteil gewesen, dass der Bund und die Stadt Wien gemeinsam so ein großes zusammenhängendes Areal hatten. Das ermöglicht so eine langfristige integrierte Stadtkonzeption, die sonst nicht möglich wäre.

Ein privater Investor hätte vielleicht Probleme mit der langfristigen Kapitalbindung?

Das könnte so sein.

Zurück zum freifinanzierten Wohnbau. Sind Projekte und Preise in der Seestadt mit innerstädtischen Projekten bzw. Preisen vergleichbar?

Eines vorweg. Die Seestadt ist ein erklärtes Vorzeigeprojekt der Stadt Wien. Es gibt da und dort qualitative Anforderungen, die in der Seestadt ernster genommen werden, weil wir auf eine sehr hohe Qualität setzen. Und es gibt auch eine eigene Projektleitung im Magistrat der Stadt Wien, die dafür sorgt, dass Verfahren rasch und konzentriert abgewickelt werden können. Das habe ich in anderen Bereichen nicht. Außer vielleicht beim Projekt Hauptbahnhof oder beim Nordbahnhof, wo es ähnliche Konstellationen gibt. Das ist der Vorteil. Dafür muss man die eine oder andere innovative Entwicklung verstehen und auch mittragen.

… aber das muss doch jeden Entwickler freuen, Tiefgaragen sind teuer …

Manche freut es. Manche sind noch überzeugt, dass man ohne Garagenplatz im Haus eine Wohnung nicht verkaufen kann. Hier gibt es schon die ersten Erfahrungen, dass man das nicht braucht – ganz im Gegenteil. Uns erzählen schon einige Entwickler, dass es junge Leute gibt, die auch Geld haben, die sagen, sie wollen sich nicht notwendiger Weise auch noch einen Garagenplatz kaufen müssen. Wenn die Möglichkeit besteht, später einen Stellplatz zu vernünftigen Bedingungen – zwischen 65 und 85 Euro – dazumieten zu können, muss man sich keine Sorgen mehr machen, ob die Wohnung verkauf- oder vermietbar ist.

Ein weiteres gutes Beispiel ist unser Nahversorgungskonzept mit der gemanagten Einkaufsstraße, die wir gemeinsam mit SES – Spar European Shopping – entwickelt haben. Jetzt nach drei Jahren haben wir keinen einzigen Ausfall eines Mieters in der gemanagten Zone. Wir haben die übliche Fluktuation in den Randzonen. Das sind Fälle, die man überall hat. Die Kernversorgung ist gut auf die wachsenden Umsatzerwartungen ausgerichtet. Da zeigt sich, dass der nächste Schritt getan werden kann und zusätzliche Nahversorger aufmachen können.

Ein zweiter Supermarkt – wieder Spar?

Das wird kein Spar werden. Das war unseren Partnern bei SES auch klar. Das sind Experten und die wissen: Shopping braucht Angebotsvielfalt .

Hat man der SES Gruppe entgegenkommen müssen, damit ein Spar in die Seestadt kommt?

Nein, das war kein Thema. Wir haben mit mehreren Anbietern gesprochen. SES war bereit, nicht nur beratend tätig zu sein, sondern auch in eine gemeinsame Gesellschaft einzusteigen und 50 Prozent des Risikos zu nehmen. Es gab durchaus Stimmen, die gesagt haben: „Gemanagte Einkaufsstraße: Das wird nicht funktionieren, es wird Leerstände geben.“ SES hat mit uns an das Konzept geglaubt – und es funktioniert. Jetzt wird die Einkaufsstraße im Seeparkquartier auf in Summe ca 6.000 Quadratmeter erweitert.

Wann werden wir die ersten Baukräne im Norden der Seestadt sehen?

Bis 2020 läuft die aktuelle Bauphase im Süden. Im Jahr 2018 rechnen wir mit einem rechtskräftigen UVP-Bescheid, dann kann die erste Etappe im Norden in Bau gehen. Parallel bereiten wir mit der Stadt Wien die nächsten Etappen vor: Bebauungsbestimmungen, Auslobung der Bauträgerwettbewerbe … unsere Vorgehensweise hat sich bewährt.

Mit welchen Preisen muss man bei Grundstücksankäufen im Norden rechnen?

Ab 250 Euro für geförderten Wohnbau, das geht dann auch auf das Zwei- bis Dreifache hinauf, je nach Dichte und Nutzungsmischungen.

Was sind die größten Herausforderungen bei einem so großen Projekt?

Dass man das richtige Tempo erwischt und die richtige Mischung in den Etappen hat. Auch, dass man den Mut hat, Dinge offen zu lassen und noch nicht zu entscheiden, was dort endgültig passieren wird, um auf sich ändernde Entwicklungen reagieren zu können, wie zum Beispiel auf den Trend zu Micro-Wohnungen. Auch im gewerblichen Bereich ist die Entwicklung nicht linear. Vor zehn Jahren hat sich zum Beispiel kein Mensch eine Pilotfabrik 4.0 vorstellen können, in der man forscht, wie sich innerstädtisch industrielle Produktionen realisieren lassen.

Fehlt nur noch die Schließung des Umfahrungsrings … 

… ein für den Wirtschaftsstandort essenzielles Thema. Der Standort, wie wir ihn konzipiert haben, funktioniert ohne diese hochrangigen Straßenverbindungen nicht wirklich. Das bestätigen auch alle, die schon da sind. Wenn wir diese Straßen nicht bekommen, werden auch viele nicht herkommen, bzw. möglicherweise nicht am Standort bleiben. Für die Wohnbevölkerung ist der Umfahrungsring praktisch, aber nicht zwingend notwendig, da die öffentliche Verkehrsanbindung mit der U2 und der S-Bahn sehr gut ist. Der Autoverkehr, den es bereits in der Seestadt gibt, ist mit der bestehenden Straßeninfrastruktur zu bewältigen.

Das heißt: Mit der Umfahrungsstraße kommt auch mehr Gewerbe in die Seestadt?

Definitiv. Also wenn die Straße wirklich längerfristig verhindert wird, was kaum jemand glaubt, dann muss man einen Plan B erstellen. Dann ist das Konzept, wie es 2007 beschlossen wurde und wir es mit kleineren Modifikationen ganz konsequent und mit großem Engagement umsetzen, nicht zu halten. Das ist momentan aber kein Thema – wir glauben daran.

Werden die Preise steigen, wenn die Straße da ist? Sollte man sich jetzt einen günstigen Preis sichern?

Bis jetzt ist es nicht so, dass wir von Jahr zu Jahr billiger werden, damit wir etwas verkaufen können. Wir haben den Vorteil eines Unternehmens, hinter dem öffentliche Eigentümer stehen und auch große, leistungsfähige Private, die nicht unter einem Liquiditätsdruck stehen. Also wir müssen nicht unter Druck verkaufen. Wenn wir das müssten, würde es anders aussehen.