EY Attractiveness Survey Österreich 2020

Attraktivität des Standorts Österreich ist 2019 stark gestiegen – gute Rahmenbedingungen für Neustart nach Coronakrise

Zahl der angekündigten Investitionsprojekte in Europa stieg 2019 noch um ein Prozent – etwa ein Drittel der Investitionen wurden aber seitdem Corona-bedingt abgesagt oder verschoben.

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EY Attractiveness Survey Österreich 2020

Europa konnte sich im vergangenen Jahr und vor dem Ausbruch der Coronakrise als attraktiver Investitionsstandort behaupten und insgesamt 6.412 Investitionsprojekte von ausländischen Unternehmen anziehen. Das ist ein Prozent mehr als im Vorjahr und der zweithöchste je gemessene Wert. Im Ländervergleich belegte Frankreich dank eines Zuwachses von 17 Prozent erstmals den ersten Platz – vor Großbritannien und Deutschland. Während Großbritannien trotz der Brexit-Unsicherheit fünf Prozent mehr Projekte registrierte als 2018, lag die Zahl der Investitionen in Deutschland auf dem Niveau des Vorjahres. 

Österreich verzeichnete 2019 als Investitionsstandort mit einer Steigerung um knapp drei Viertel (73 %) ein Rekordjahr: 69 Projekte wurden umgesetzt, während 2018 und 2017 noch jeweils 40 Projekte finalisiert wurden. Österreichische Unternehmen hielten sich dagegen mit Investitionen im Ausland zurück; die Zahl der Projekte sank um ein knappes Viertel (24 %). 

Das sind die Ergebnisse des 18. „EY Attractiveness Survey“ der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY zur Attraktivität des Wirtschaftsraumes Europa und zu tatsächlichen Investitionsprojekten ausländischer Unternehmen in Europa.

„Die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Österreich ist im letzten Jahr deutlich gestiegen, die ausländischen Direktinvestitionen sind auf ein Rekordniveau gewachsen. Die Coronakrise hat für eine Vollbremsung gesorgt. Umso wichtiger ist es jetzt, den positiven Aufschwung aus 2019 für den Wirtschaftsstandort wieder in Gang zu setzen und die Wirtschaft rasch wieder anzukurbeln. Die Rahmenbedingungen für den Neustart sind jedenfalls gut: Der Wirtschaftsstandort zieht immer mehr Investitionen an, die Infektionszahlen sind aktuell sehr gering und bei der schrittweisen Öffnung der Wirtschaft gehört Österreich zu den Vorreitern. Diese Vorzeichen gilt es zu nutzen, um rasch positive Impulse für die Wirtschaft zu setzen und durch Investitionsprojekte dringend notwendige neue Stellen zu schaffen und damit Beschäftigung anzukurbeln“, so Gunther Reimoser, Country Managing Partner EY Österreich.

Attraktiver Standort: 2019 brachte Investitionsrekord in Österreich

Deutsche Unternehmen waren erneut die mit Abstand relevanteste Investorengruppe in Österreich – sie steigerten ihr Engagement im Vergleich zu 2018 um sechs Projekte auf 24. Auch die USA mit 13 und China mit zehn Projekten bestätigten die Attraktivität des österreichischen Wirtschaftsstandorts als Investitionsmarkt. Die Schweiz mit sechs Projekten, Großbritannien mit drei, Frankreich und Japan mit je zwei Projekten zogen etwas zögerlicher nach. Unternehmen aus anderen großen europäischen Volkswirtschaften wie Spanien oder Italien dürften Österreich dagegen kaum auf dem Radar haben.

„Den starken Aufwärtstrend mit doch drei Viertel mehr Investmentprojekten führen wir darauf zurück, dass insbesondere das Interesse am Produktionsstandort Österreich im letzten Jahr deutlich gestiegen ist: Fast doppelt so viele Projekte wie im Vorjahr, 27 an der Zahl, betrafen den Bereich Produktion”, so Reimoser. “Doch nicht nur das – auch als Absatzmarkt sind wir attraktiv. Immerhin haben sich die Investitionen im Bereich Vertrieb und Marketing von sieben auf 15 Projekte mehr als verdoppelt.”

Österreichische Unternehmen bei Investitionen zurückhaltend

In die andere Richtung zeigt sich allerdings ein deutlicher Abwärtstrend: Während sich die Auslandsinvestitionen österreichischer Unternehmen zwischen 2016 und 2018 auf einem stabilen Niveau von rund 140 Projekten jährlich hielten, sanken sie 2019 um fast ein Viertel auf 107 Projekte. 

„2019 brachte offensichtlich eine Trendwende: Unsere Unternehmen investierten nicht nur deutlich weniger, sondern auch in andere Regionen”, so Reimoser. “Waren bisher Deutschland und die mittel- und osteuropäischen Staaten die attraktivsten Zielmärkte, so verschob sich der Fokus nun nach Frankreich, das eine deutliche Steigerung der Austro-Investitionen verzeichnen konnte, während weniger Projekte bei den direkten Nachbarn umgesetzt wurden.”

In Frankreich verdoppelte sich die Zahl der Investitionen auf 21 Projekte. Deutschland bleibt trotz Rückgang der größte Zielmarkt für österreichische Auslandsinvestitionen. 2019 wurden 30 Projekte umgesetzt im Vergleich zu 47 in 2018. Die Zahl der österreichischen Projekte in Mittel- und Osteuropa sank um 38 Prozent von 63 auf 39, während in anderen Ländern Westeuropas ein Rückgang von 17 Prozent von 82 auf 68 zu beobachten war. Die Türkei war das drittbeliebteste Zielland für Österreichs Unternehmen: Immerhin zehn Projekte wurden 2019 hier abgewickelt.

Coronavirus bremst Investitionen: Nur zwei Drittel der angekündigten Europainvestitionen realisiert

Von den im vergangenen Jahr europaweit angekündigten 6.412 Investitionsprojekten wurden nach EY-Schätzung 65 Prozent vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie realisiert oder befinden sich nach wie vor in der Umsetzung. 25 Prozent wurden aufgeschoben und zehn Prozent gestrichen.

 „Die Sparmaßnahmen aufgrund der COVID-19-Pandemie sind bereits stark spürbar – das Verschieben oder gar Absagen von geplanten Investitionen ist derzeit europaweit übliche Praxis“, beobachtet Reimoser. „Es ist unklar, wie stark die Konjunktur tatsächlich einbricht und wie sich Absatzmärkte entwickeln – daher steht derzeit das Liquiditätsmanagement im Fokus der Unternehmen und Investitionen sind hintangestellt.”

Insgesamt sei im laufenden Jahr mit einem Rückgang der ausländischen Investitionen um 35 - 50 Prozent zu rechnen, wobei die Entwicklung je nach Branche sehr unterschiedlich verlaufen dürfte. 

„Branchen wie Maschinenbau und die Autoindustrie etwa stehen derzeit bei Investitionen massiv auf der Bremse, Pharmaunternehmen hingegen stärken teilweise ihre Kapazitäten. Und auch in die digitale Infrastruktur wird kräftig investiert, der digitale Wandel beschleunigt sich gerade“, beobachtet Reimoser.

Neue Kriterien für Investitionsentscheidungen rücken ins Blickfeld

In Einzelfällen und in bestimmten Branchen werde versucht, die Produktion wieder verstärkt in Europa anzusiedeln, um die Lieferketten zu optimieren und die Abhängigkeit von Produkten und Vorprodukten aus Ländern wie China oder Indien zu reduzieren. Mit einem generellen Trend zum sogenannten Nearshoring rechnet Reimoser dennoch nicht:

„Die Lieferketten ganz nach Hause zu holen ist auch nicht der Königsweg, denn das würde signifikant steigende Kosten und somit auch sinkende Wettbewerbsfähigkeit bedeuten.“ 
Reimoser erwartet aber, dass für Unternehmen bei Entscheidungen über Lieferanten und Investitionen neue Prioritäten gelten werden: „Natürlich spielen Kosten auch zukünftig eine sehr wichtige Rolle. Aber die Belastbarkeit und auch die Nachhaltigkeit von Lieferketten werden zunehmend immer wichtiger. Corona hat deutlich gemacht, dass Unternehmen nicht nur von einem Land, einem Zulieferer oder einem Kunden abhängig sein sollten.“

Bei Investitionsentscheidungen werde es zukünftig verstärkt auch um Kriterien wie Lebensqualität, Gesundheit und Wohlbefinden sowie ein Umfeld mit guter Gesundheitsversorgung am Investitionsstandort gehen.

Krise stellt Erholung in Südeuropa in Frage – Stärkung Osteuropas?

Die südeuropäischen Länder – insbesondere Spanien, Frankreich und Portugal – konnten in den vergangenen Jahren in der Gunst ausländischer Investoren besonders stark zulegen: Im Jahr 2019 stieg in Frankreich die Zahl der Projekte um 17 Prozent, in Spanien um 55 Prozent, in Portugal haben sich die Investitionen sogar mehr als verdoppelt. Portugal verbesserte sich damit im europäischen Standortranking von Rang 16 auf Rang elf. Auch Italien verzeichnete mehr Investitionsprojekte – plus fünf Prozent –, und kletterte im Ranking von Rang 14 auf Rang 12.

„Die südeuropäischen Volkswirtschaften konnten im vergangenen Jahr aufschließen,“ sagt Reimoser. „Anders als in Österreich, Deutschland und im Norden Europas bremste kein Fachkräftemangel die Dynamik, die Perspektiven waren gut, die Investoren kehrten zurück.“ Gerade diese Länder stünden aber nun vor dem stärksten konjunkturellen Absturz: „Der Süden Europas ist am stärksten von der Corona-Krise betroffen. Es wird daher für diese Länder besonders schwer werden, das Vorkrisenniveau zu erreichen und wieder zu attraktiven Investitionsstandorten zu werden.“

Was Osteuropa betrifft hält EY hingegen ein Erstarken für wahrscheinlich: Die mittel- und osteuropäischen Länder hatten im vergangenen Jahr fast durchweg Einbußen bei der Zahl der Investitionsprojekte verzeichnet: Polen um 26 Prozent, Rumänien um 28 Prozent, Tschechien um 35 Prozent, die baltischen Staaten um 23 Prozent. Doch nun könnte sich für sie das Blatt wenden.

„Die meisten Länder in der Region konnten bislang die gesundheitlichen Folgen der Pandemie relativ gut meistern, sie haben einen hohen Digitalisierungsgrad und ein gutes Ausbildungsniveau. Gerade österreichische Unternehmen könnten die Gelegenheit ergreifen und sich in den kommenden Jahren noch stärker in Richtung Osten orientieren“, so Reimoser abschließend.