Graue Wohnungsnot

Pflegenotstand ist vorprogrammiert

„Österreich steuert auf eine „graue Wohnungsnot“ zu, ist eine Schlüsselaussage des ersten Marktberichts von Silver Living, dem Branchenführer für freifinanziertes Betreutes Wohnen.

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„Österreich steuert auf eine „graue Wohnungsnot“ zu, ist eine Schlüsselaussage des ersten Marktberichts von Silver Living, dem Branchenführer für freifinanziertes Betreutes Wohnen. Der Marktbericht wurde beim heutigen Silver Living Forum an der Universität Wien präsentiert. Die Daten wurden im Auftrag von Silver Living im Rahmen einer Sekundäranalyse von FH Univ. Doz. Dr. Wolfgang Amann, Geschäftsführer vom Institut für Immobilien Bauen und Wohnen GmbH, erhoben und gemeinsam mit Silver Living analysiert.

Demografische Entwicklung

In der Altersgruppe 60plus leben rund 2.234.000 Menschen in Österreich. Bis 2029 werden es 530.000 mehr sein. Fakt ist auch, dass die Zahl der jüngeren ÖsterreicherInnen unter 60 Jahren seit Jahrzehnten kaum mehr wächst. Wer sind unsere Seniorinnen und Senioren? Mehr als die Hälfte dieser Haushalte sind Singles, weitere über 40 % leben in Partnerschaft, nur sehr wenige in größeren Familien. Der hohe Stellenwert von Single-Haushalten beginnt bei den 40-Jährigen und steigt ab diesem Alter stetig an. Während sich bei den 60-Jährigen Singles und Paare noch die Waage mit jeweils rund 45 % halten, steigen in den weiteren Altersgruppen die Single-Haushalte sehr viel stärker. Das Alleineleben von Männern und Frauen unterscheidet sich grundlegend. Bei den Männern lebt über die gesamte Lebensspanne hinweg eine hartnäckig ähnlich große Gruppe von etwa 15 % alleine. Bei den Frauen hingegen ist das Alleineleben eine Funktion des Alters. Nur 10 % der 30-Jährigen, aber 60 % der 80-Jährigen bewältigen ihren Haushalt ohne Partner. 

Wie SeniorerInnen wohnen

Die Wohnversorgung von Seniorinnen und Senioren ist qualitativ ähnlich hochwertig wie die der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig bestehen ausgeprägte Armutslagen, etwa bei älteren Frauen mit Mindestpension. Für 15 % der alleinstehenden älteren Frauen, aber nur für 8 % der Männer bedeuten die Wohnkosten eine starke Belastung. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person liegt bei Seniorinnen und Senioren weit über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Während insgesamt nicht bescheidene 45 m2 Wohnfäche pro Person zu Buche stehen, sind es bei alleinstehenden, selbstständig lebenden Seniorinnen und Senioren nicht weniger als 80 m2. „Sie leben häufig in Wohnungen und Häusern, die im Zuge der Haushalts-Biografien über die nunmehrigen Ansprüche hinausgehen. Beispielsweise lebt die Hälfte der alleinstehenden Frauen in Wohnungen/Häusern mit vier und mehr Wohnräumen“, sagt Amann. „Kaum 7 Prozent haben den Weg in Neubauwohnungen gefunden. Sehr viele Seniorinnen und Senioren leben in Wohnungen mit Barrieren. Typisch dafür sind die Gebäude der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre.“ 

Geringe Wohnmobilität bei Seniorinnen und Senioren

Die Wohnmobilität von Seniorinnen und Senioren steigt zwar, ist aber nach wie vor deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt. Amann: „Zwei von drei Mieter-Haushalten haben während des vergangenen Jahrzehnts die Wohnung gewechselt. Bei den mietenden Single-Senioren waren es demgegenüber nur 30 %.“ 

Verschlechterung der Einkommenssituation bei Babyboomer

Als zentrales Problem bleibt, insbesondere für einen Teil der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, die künftige „Leistbarkeit des Wohnens“. Auch wenn die Versorgung der älteren Bevölkerung in einem der reichsten Länder grundsätzlich machbar sein sollte, „so ist doch davon auszugehen, dass sich die Einkommenssituation für die ältere Bevölkerung insgesamt verschlechtert. Für die SeniorenInnen von morgen wird es also finanziell eng“, erklären unisono die beiden Silver Living Geschäftsführer Walter Eichinger und Thomas Morgl.

Umzugswelle bei Seniorinnen und Senioren kommt

„Die klassische „Wohnkarriere“, d.h. Elternhaushalt – erste kleine Wohnung – optimale Wohnform gem. beruflichem Aufstieg – Verbleib in der erreichten Wohnform bis ins hohe Alter, wird daher für die künftigen, vor allem weiblichen, Ruheständler nicht mehr haltbar sein“, prognostiziert Amann. „Sinkende Pensionen, steigende Mieten, teure Umbaukosten: Viele Seniorinnen und Senioren werden sich aus ökonomischen Gründen kaum noch ihre Wohnung leisten können.“ Eine regelrechte Umzugswelle bei älteren Menschen ist vorprogrammiert. Auch ist das Angebot an Wohnraum durch den Wohnungsbestand fixiert, sodass eine Kostensenkung über eine Reduktion der Wohnfläche nicht unmittelbar umgesetzt werden kann. Um die Wohnkosten der Mieterhaushalte 70plus in tragbaren Rahmen zu halten, „werden somit künftig auch gemeinschaftliche Wohnformen (z.B. Wohngemeinschaften) und Quartierskonzepte in den Städten an Bedeutung gewinnen“, ergänzen Eichinger und Morgl.

Wohnen im Pflegeheim

2017 bezogen österreichweit rund 460.000 Personen Pflegegeld. Darüber hinaus ist von rund 200.000 hilfs- und pflegbebedürftigen Personen ohne Pflegegeldbezug auszugehen. Mehr als 70 % der Pflege wird von Angehörigen erledigt. Zwei Drittel der pflegenden Angehörigen sind Frauen, die Hälfte davon ist selbst über 55 Jahre alt. Der Pflegebedarf ist bei den „jungen Seniorinnen und Senioren“ (60-80 Jahre) gering. Nur rund 10 % von ihnen beziehen Pflegegeld. Außergewöhnlich hoch wird der Pflegebedarf bei den über 80-Jährigen. Rund 60 % der Hochbetagten beziehen Pflegegeld. 

Von den rund 69.000 Personen in Pensionisten- und Pflegeheimen sind 50.000 Frauen. Der Anteil der Frauen und Männer in Heimen steigt mit dem Alter rasch an. Sind es bei den unter 60-Jährigen kaum 0,5 Prozent und bei den 70-Jährigen unter 3 %, steigt der Anteilswert bei den hochbetagten Männern auf fast 20 % und bei den Frauen auf über 30 %. Die mit Abstand stärkste Gruppe in den Heimen sind die 85- bis 95-Jährigen. 

Kosten für Pflege und Betreuung

2017 wurden österreichweit für die sechs im Pflegefondsgesetz definierten Dienstleistungsbereiche der Länder und Gemeinden in der Langzeitpfege (mobile, teilstationäre und stationäre Dienste, Kurzzeitpflege, alternative Wohnformen, Case- und Caremanagement) brutto € 3,53 Milliarden aus- gegeben, wovon etwa 44 % durch Beiträge von NutzerInnen und unterhaltspflichtigen Personen getragen wurden. Das Pflegegeld machte für die ca. 460.000 Bezieher rund € 2,61 Milliarden aus. Dazu kommen noch Sachleistungen der Länder (Soziale Dienste). 

Der öffentliche Aufwand für die Pflege steigt deutlich stärker als die Wirtschaftsleistung. Nicht alle, aber ein Großteil der Pflegekosten sind älteren Menschen zuzuordnen. Seniorinnen und Senioren zuordenbare Beihilfen für Wohnen (Wohnbeihilfe, Mietzinsbeihilfe, Abdeckung von Wohnbedarf in der Mindestsicherung) haben einen sehr viel geringeren Stellenwert. Wenngleich die verfügbaren Statistiken keine Analyse nach Altersgruppen zulassen, ist ein Aufwand von unter 100 Millionen abschätzbar. 

Die Kosten der Pflege- und Betreuungseinrichtungen pro Person unterscheiden sich sehr stark. Sie liegen bei Heimen bei über € 34.000 pro Jahr, beim Betreuten Wohnen bei etwa € 18.000. Unter Berücksichtigung der Eigenleistungen von betreuten und unterhaltspflichtigen Personen ist der Unterschied noch größer, indem für Heime Nettokosten für die Länder von über € 18.000, für Betreutes Wohnen jedoch nur rund € 7.000 verbleiben. 

Pflegenotstand kommt

Verschärfend kommt hinzu, „dass selbst bei stabiler Pflegequote allein durch die starke Zunahme der Älteren die Zahl der Pflegebedürftigen und dementsprechend die Pflegekosten deutlich ansteigen werden“, prognostiziert Eichinger. Lösungen, die geeignet sind, um die stationäre Pflege im Heim durch ambulante Betreuung und/oder Pflege in den eigenen vier Wänden zu ersetzen, erfordern eine deutliche Ausweitung des Angebots an barrierefreien Wohnungen. Damit reduziert zusätzlicher barrierefreier Wohnraum langfristig Kosten in der Pflege und im Gesundheitswesen. Ebenso kann das favorisierte Verbleiben in der eigenen Wohnung beim Erreichen der Pflegebedürftigkeit erheblich einfacher und länger realisiert werden.

Politik muss handeln

„Insgesamt kann ein proaktives heutiges Handeln der Politik mit entsprechenden Förderprogrammen und innovativen Pilotprojekten langfristig helfen, um die ‚graue Wohnungsnot‘ in den Griff zu bekommen“, sagt Eichinger. „Vor dem Hintergrund der demografischen Veränderung ist dem Gesetzgeber dringend anzuraten, die Förderungen für Umbauten und Modernisierungen stark auszuweiten. Sowohl das Volumen, die Konditionen als auch der Zugang zu Förderungen müssen geeignet sein, eine rasche Ausweitung des Angebots an barrierefreien Wohnungen herbeizuführen. Flankierende Maßnahmen wie Steuererleichterungen, schnellere Genehmigungsverfahren, Angleichung der österreichischen Förderlandschaft für freifinanziertes Seniorenwohnen am Vorbild Steiermark sowie Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen bei der 24-h Betreuung an die tatsächlichen Erfordernisse in der Praxis, sind ebenso notwendig, um die Wohn-, Pflege- und Betreuungskosten der Altersgruppe 70plus in einem bezahlbaren Rahmen zu halten“

Marktchancen für Betreutes Wohnen

Der demografische Wandel und die Entwicklung des Pflegbedarfs lassen eine dynamische Entwicklung des Betreuten Wohnens erwarten. Es bewirkt individuelle Kostenvorteile gegenüber stationärer Pflege und vermehrten Komfort gegenüber normalen Wohn- und Pfegeformen. Betreutes Wohnen verursacht wesentlich geringere volkswirtschaftliche Kosten als andere Formen der Pflege. Es ist zu erwarten, dass sich die Angebote an Betreutem Wohnen zwischen städtischem und ländlichem Umfeld differenzieren werden. Im städtischen Umfeld haben gewerbliche Angebote im mittleren Preissegment große Potenziale. Im ländlichen Bereich kommen vor allem Kombinationen mit gefördertem Geschoßwohnbau zum Tragen. Betreutes Wohnen ist im Gegensatz zu Heimen auch als kleine Anlage im ländlichen Raum umsetzbar. Damit kann es wesentlich zur Belebung von Ortszentren beitragen. Auch gehört nicht jede/r HeimbewohnerIn ins Heim, oft funktioniert aber die Unterbringung im eigenen Zuhause nicht mehr. Die Mehrzahl der Bundesländer beschränkt ihre (Objekt-) Förderung auf gemeinnützige Bauvereinigungen. Einzelne Länder setzen stattdessen Subjektförderungen ein, wodurch der Wettbewerb zwischen gemeinnützigen und gewerblichen Bauträgern forciert wird. Bei der Zugänglichkeit von Wohnbeihilfe und Pflegezuschuss besteht vielfach keine Chancengleichheit zwischen gemeinnützig und gewerblich. 

Betreutes Wohnen – Quantitative Abschätzung

Die jährliche Bauleistung Betreuter Wohnungen liegt österreichweit bei rund 1.500 Einheiten. Das sind rund 4 % des gesamten großvolumigen Neubaus. Insgesamt steht heute österreichweit ein Bestand von rund 17.000 Betreuten Wohnungen zur Verfügung (im Vergleich zu rund 69.000 Heimplätzen). Darin nicht enthalten ist allerdings die große Zahl an barrierefreien Wohnungen. Hier fehlt es konzeptionell an der organisatorischen Bündelung von sozialen Dienstleistungen und deren Verbindung mit Wohnangeboten. Solitärer, barrierefreier Wohnraum ist daher als altersgerechte Wohn- und Lebensform grundsätzlich auszuschließen. Viele Projekte sind nicht klar dem einen oder anderen Typ zuzuordnen. Einen besonders hohen quantitativen Stellenwert hat Betreutes Wohnen im Burgenland, in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark, wo jeweils etwa 0,5 % des Wohnungsbestands Betreute Wohnungen sind. 

87.000 Einheiten allein für Betreutes Wohnen benötigt

Derzeit leben in der Altersgruppe 60plus rund 2.234.000 Menschen in Österreich. Bis 2029 werden es 530.000 mehr sein. Das Marktpotenzial für Betreutes Wohnen resp. altersgerechte Wohnformen lassen sich anhand dieser statistischen Daten und Kennzahlen sehr gut festlegen. In Europa – und das gilt ebenso für Österreich – gehen ExpertInnen von rund 7 % der über 70-Jährigen aus, die Betreutes Wohnen in Anspruch nehmen bzw. nehmen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass dieser Prozentsatz laufend nach oben revidiert wird. „Deutsche Studien sprechen teilweise schon von 10 % der über 70-Jährigen“, erläutern Eichinger und Morgl. Weiters sind sich beide einig, dass „aus derzeitiger Sicht bis 2029 rund 87.000 Wohneinheiten für Betreutes Wohnen benötigt werden. Damit könnte der aktuelle sowie künftige Wohnbedarf unserer SeniorenInnen gedeckt werden. Unseren Schätzungen und Erfahrungen zufolge betragen die durchschnittlichen Investitionskosten ca. 167.000 Euro pro Betreuter Wohneinheit. Österreich steht somit mit einem geschätzten Investitionsbedarf in altersgerechtes Wohnen von rund 14,5 Milliarden bis 2029 vor einer großen Herausforderung.“