Handel im Wandel

Real Circle 03. Im Park Hyatt gingen auf Einladung von Energiecomfort und ImmoFokus Immobilienexperten der Frage nach: „Zerstört Online den stationären Einzelhandel?“

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Real Circle 03. Im Park Hyatt gingen auf Einladung von Energiecomfort und ImmoFokus Immobilienexperten der Frage nach: „Zerstört Online den stationären Einzelhandel?“

Einkaufscenter werden zunehmend zu Begegnungszonen. Man trifft einander. Trinkt mit Freunden einen Kaffee und geht nebenbei shoppen“, erklärt Shoppingcenter-Profi und CC Real Chef Fabian Kaufmann. „Es kommt darauf an, sich wohl zu fühlen. Das Erlebnisshopping ist angesagt. Kunden wollen unterhalten werden.“ Ein Punkt, dem Doris Bele (Energiecomfort) nur beipflichten kann. „Für mich ist der Branchenmix sekundär. Man muss sich wohl fühlen.“ Für Wolfgang Poppe von Vasko & Partner kommt gerade dem Wohlfühlfaktor entscheidende Bedeutung zu: „Wenn ich zwischen zwei Standorten wählen kann, fahre ich dorthin, wo ich mich wohl fühle. Voraussetzung ist allerdings, dass ich dort alles bekomme.“ Ein gutes „Negativbeispiel“ für Poppe ist die Shoppingmall Gasometer City. „Da will doch keiner hinfahren.“ Zudem fehle es an einem ausreichend großem Einzugsgebiet. Verwinkelt, klein, keine Parkplätze, ein verstecktes Entertainment Center“, legt Colliers Retail Experte Stefan Goigitzer einige Kritikpunkte nach.

Natürlich komme es auch auf den Branchenmix an. „Ohne Einzugsgebiet nützt der beste Branchenmix nichts“, kontert Kaufmann. „Der Mix allein ist nur die halbe Miete.“ Viele Einkaufscenter würden sich zu sehr auf den Mix verlassen. „Die glauben, sie haben ein stabiles System, doch dies kann trügen.“ Denn jede Branche, jede Marke habe ihre Zyklen. „In jedem Einkaufscenter werden automatisch Plätze frei.“

Ein Einkaufscenter sei, wenn man es genau nimmt, keine Immobilie, sondern ein Gewerbe. Ein gewachsener Körper, der sich ständig verändere. „Geschäfte kommen und gehen. Wichtig ist, dass sich in einem Einkaufscenter etwas tut.“ Es geht dabei aber auch um nachhaltige Entwicklung. Dass es Neuigkeiten gibt. Darunter fallen auch neue Attraktionen wie neue Geschäfte, aber auch Marketingaktivitäten auf den freien Flächen. Kaufmann weiß, wovon er spricht. In einem von der CC Real gemanagten Einkaufscenter in Kroatien wird sogar eine Daily Soap gedreht. „Das bringt Aufmerksamkeit und gutes Geld. Man darf es aber nicht übertreiben.“

Viel wichtiger als der Branchenmix ist, nach Ansicht von Poppe, die Größe. „Ein Einkaufscenter braucht mindestens 40.000 Quadratmeter – sonst funktioniert es nicht.“ Parndorf sei für ihn das beste Beispiel. „Heute brummt dort das Geschäft. Zu Beginn war es aber ganz schwierig. Erst als es eine gewisse kritische Größe erreicht hat, ist das Geschäft so richtig ins Laufen gekommen.“ Goigitzer sieht die Einkaufsstraßen und Einkaufscenter durch den Online-Handel unter Druck. Doch nicht jede Branche sei für den Online-Handel geeignet. „Die Mode- und Schuhbranche leidet. Da werden Schuhe und Taschen bestellt, getragen und wieder zurückgeschickt. Das kostet. Viele Modeunternehmen sagen – Hände weg vom Online-Shop.“ Um den Online-Shops Paroli bieten zu können, müsste der stationäre Handel versuchen, mit Service zu punkten „Passt ein Kleid nicht, schick ich es beim Online-Kauf zurück. Bietet mir ein Shop eine Änderung zum Beispiel binnen einer Stunde an, dann kauf ich“, bringt es Poppe auf den Punkt.

Doch wem gehört die Zukunft?

Klaus Havlicek (Regioplan): „Prime-Lagen haben nach wie vor eine hohe Bedeutung - allerdings in immer konzentrierterer Form. Die Konzentration der Top-Marken im Goldenen Quartier ist am Ende der Kärntner Straße spürbar. Das Gleiche passiert auf der Mariahilfer Straße. Auch das ist zu erwarten, dass mit der Zeit der Zentralbereich aufgewertet wird und die Enden ein bisschen verlieren. Weil einfach in Summe weniger Fläche nachgefragt wird und weniger Fläche hochfrequentiert sein wird.“ Für den Standort-Experten steht fest, dass C- und D-Lagen, die früher noch Einkaufsstraßen waren, zu Nahversorgern werden. „Mittelfristig wird dort kein Handel mehr stattfinden. Die Sockelzonen werden andere Nutzungen finden.“ In den Toplagen hingegen werde es weiter nach oben gehen, sofern das Standortmarketing funktioniert.

Das ist das Stichwort für Goldenes Quartier Chef (Signa) Helmut Neubauer: „Es geht um Engagement. Wir haben uns beim Goldenen Quartier mit dem Thema Standortmanagement international auseinandergesetzt.“ London sei hier ein ganz gutes Beispiel. „Alle gut gehenden Einkaufsstraßen wie Bond Street, Regent Street haben ein gemeinsames Marketing und gemeinsames Management. Die arbeiten für sich den USP heraus. Sie zahlen auch in einen gemeinsamem Fonds ein, eine Art Werbegemeinschaften. Da sind wir hier eigentlich weit weg.“

Für ÖRAG-Vorstand Johannes Endl geht es (wie fast immer) ums liebe Geld. „Sobald es ums Zahlen geht, ist keiner mehr dabei, dann kommen so patscherte G’schichten dabei raus.“ In vielen Fällen findet der Handel gar nicht die Flächen vor, die er benötigen würde. „In Salzburg, da sind so viele denkmalgeschützte alte Häuser mit unglaublich vielen Treppen und sehr verwinkelt. Da bekomme ich eine moderne Handelsstruktur nur schwer hinein. Von den verlangten Mieten einmal komplett abgesehen.“ Neubauer sieht hier auch die Immobilieneigentümer in der Pflicht: „Die Fläche bekommt der, der das meiste zahlt. Die Nachhaltigkeit der Miete, die Nachhaltigkeit des Besatzes ist völlig zweitrangig.“ Dies sei in einem Shoppingcenter, aber auch in Einkaufsstraßen anders, sofern diese zentral gemanagt werden. Für Endl ist das der Hauptunterschied zu einem Einkaufszentrum. „Dort ist allen klar, dass das Einkaufszentrum ein organisches Ganzes ist und ein Leerstand allen schadet. In einer Einkaufsstraße ist sich jeder selbst der Nächste.“

Dass auch große internationale Player Fehler machen können, davon weiß Neubauer ein Lied zu singen. „Das Goldene Quartier ist eine Shopping-Destination. Das sollten wir auch zeigen und da sollten wir uns auch im Marketing entsprechend comitten. Aktuell bauen wir mit unseren Retailern gemeinsam eine Homepage auf.“ Ob diese auch mitzahlen werden, steht noch in den Sternen.

Signa sei davon ausgegangen, dass allein durch die Ansiedlung von Luxusmarken sowie die Frequenz und die Wahrnehmung dieses Goldene Quartier als Einkaufsdestination funktionieren würde. Doch das war völlig verfehlt. „Es passt nicht jeder Mieter dort hinein“, so Neubauer. „Wir haben nicht daran gedacht, bei den Mietverträgen Themen wie Werbegemeinschaften gleich mitzunehmen. Ein Standortmanagement hätte schon in der Entwicklung mit dabei sein müssen, eine Mieterbetreuung und auch das Marketing als Agglomeration, als synergetischer Zusammenschluss von Einzelhandelsunternehmen. Das müssen wir jetzt nachziehen. Was natürlich nun um sehr vieles schwieriger ist.“ Um Wien aber international als Einkaufsdestination positionieren zu können, müsse auch das Goldene Kalb „Sonntagsöffnung“ geschlachtet werden. Eine Lockerung dieser Sonntagsöffnungszeiten, das würde dem Einzelhandel sehr, sehr gut tun, sind sich alle einig. „Zumindest in den Toplagen.“

Branchen und Shopformen der Zukunft

Man war sich einig: Nicht nur der Einzelhandel ist in seinen Geschäftsmodellen von Online massiv betroffen. Genauso wie in anderen Branchen werden Marktteilnehmer verschwinden und neue entstehen. Dieter Wasserburger, Leiter der Expansion bei Rewe International, verweist auf eigene Erfahrungen: „Wir haben vor einigen Jahren mit dem Online-Handel und der Zustellung begonnen und intensivieren das jetzt. Es gibt auch Beteiligungen an reinen Online-Händlern wie Moebel24. Wir wissen noch nicht ganz, wo die Reise hingehen wird, deswegen stellen wir uns bewusst breit auf.“ Auch Oliver Strauss vom Fitness-Franchiser m.a.n.d.u. stößt ins gleiche Horn: „Wir buchen und terminisieren online, zum Trainieren muss man allerdings in den Store kommen. Wir wachsen sehr schnell, Fitness ist sicher eine der Shopformen der Zukunft.“

Hermann Jahn, Center Manager der Millennium City, sieht in der Zukunft einige Herausforderungen auf den Einzelhandel zukommen: „Sehr wichtig ist die Qualität der Verweildauer. Die Copy-Paste-Strategie des Branchenmixes in Einkaufszentren ist vorbei.“ Theoretisch ist der stationäre Handel obsolet, umso wichtiger ist hochwertige Dienstleistung im Handel. „Beratung und Qualität im Verkauf wird immer wichtiger und das ist auch die Chance für den stationären Handel, das Einkaufserlebnis ist immer noch ein anderes“, meint Wasserburger. Natürlich gibt es aber auch Branchen, die extrem „belastet“ seien, Musik- und Buchhandel werden zuvorderst genannt. Rainer Daumann von teamgnesda ist dennoch überzeugt, dass die traditionellen Geschäfte noch lange Zeit überleben werden: „Auch im Büro hat sich das Home Office viel langsamer durchgesetzt als prognostiziert. Die Menschen suchen und wollen den sozialen Kontakt. Einkaufszentren übernehmen potenziell die Funktion der Marktplätze von früher.“

Wichtiges Element für das Überleben im Handel der Zukunft sei eine Marke, deren Werten man vertraut. In der Zwischenzeit kaufe man von Apple Uhren, auch Schuhe des Computerherstellers scheinen keine unrealistische Utopie mehr zu sein. Die immer schnelleren Zyklen und der immer intensivere Anspruch der Konsumenten, jetzt alles zum Bestpreis und zwar sofort zu bekommen, stellen den Handel vor große Herausforderungen. Wasserburger: „Die Kunden sind viel anspruchsvoller geworden. Früher hat man akzeptiert, dass ein billigeres Produkt auch weniger Beratung bietet. Das hat sich geändert. Wir gehen stark in Richtung Erlebnis und Entertainment, vielleicht hat Billa in Zukunft nur mehr 300 m2 Fläche und der Rest ist Gastronomie.“

Als Folge der Bindung an die Marke sehen alle Experten die Brand-Stores weiter am Vormarsch. Hermann Kolar: „Die Identifikation der Mitarbeiter ist stärker, da ist mehr Enthusiasmus, das spüren die Kunden.“ Ferrari in Dubai wurde als Beispiel genannt, wo die Kunden sogar Eintritt bezahlen, um nachher die Produkte zu kaufen. Jedenfalls müssten aber alle Einzelhändler intensiv über neue Geschäftsmodelle nachdenken. „Früher gab es den Greißler, heute bekomme ich beim Hofer Reisen, Computer, Kleidung und Dünger“, führt Daumann als drastisches Beispiel für den Wandel an.

Convenience stehe ebenfalls im Vordergrund, Dieter Wasserburger zitierte sogar Pippi Langstrumpf: „Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt. Das ist sicher ein großer Trend. Die Welt sieht heute genau so aus, wie wir sie haben wollen.“ Auch Mobilität sei ein wichtiger Faktor, der Einzelhandel sei natürlich auch sehr stark von den Megatrends der Gesellschaft beeinflusst. Der Niedergang der Marktplätze in kleineren Gemeinden ist demnach vor allem diesen beiden Themen geschuldet. Es ist einfacher, bequemer und schneller, in größeren Units einzukaufen.

Klassische Einkaufszentren müssen ebenfalls ihre Geschäftsmodelle an neue Shopformen adaptieren. Das betrifft Grundrisse für Flagship Stores ebenso wie Flächen für Pop-Up Stores.

Dass der Online Handel einen immer größer werdenden Stellenwert einnehmen wird, darüber sind sich die Diskutanten schnell einig. Doch auch hier dürfte es zu massiven Umbrüchen kommen. Für Christian Call (Energiecomfort) kommt dabei den Zustelldiensten eine entscheidende Rolle zu. „Wenn ich online einkaufe, es aber kaum zu den Öffnungszeiten zur Post schaffe, kann ich es mir gleich ins Büro schicken lassen.“ Ernst Machart (STC-Swiss Town Consult Development GmbH) denkt sogar noch einen Schritt weiter: „Also wir werden uns überlegen, inwieweit wir das verwirklich können. Das passt genau zu unserem Konzept der New World Of Work. Der Orbi Tower ist die erste österreichische Büroimmobilie, die fit für die New World Of Work ist.“ Für Call wäre das System allerdings nur sinnvoll, wenn man diese Stelle auch für Retoursendungen nutzen könnte. „Das wäre gelebte New World Of Work und im Office 3.0“. „Einige Onlinehändler haben“, so weiß Oliver Pelz (Donau Finanz) zu berichten, „auch stationäre Einrichtungen, wo man dann die Bestellungen abholen kann.“ Pelz ist überzeugt, dass dieser Trend auch nach Österreich kommen wird. „Das wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern.“

„Es gibt sogar Überlegungen, dass Zustelldienste so organisiert werden, dass diese das Packerl in ihren privaten Kofferraum legen“, berichtet Machart. Für Call ein nicht gerade erfreuliches Szenario: „Wenn ich mir vorstelle, dass mir jemand meine Outfittery-Box in meinen Kofferraum stellt, habe ich noch ein bisschen Bedenken.“

Ein Problem sei jedoch, dass es in Wien kaum noch Logistikflächen gebe. „Das heißt aber, dass der Verkehr nach Wien wieder stark steigen wird“, bringt Andrea Buchecker (Wiener Hafen) das Thema Verkehr in die Diskussion ein. „Es wird sicherlich der Bedarf nach kleineren Verteilerzentren steigen – bezirksmäßig oder wie in neuen Stadterweiterungsgebieten wie Aspern, da werden Verteilerzentren notwendig sein.“

Für Pelz ist das Einkaufen zur Last geworden. „Natürlich werden die Leute weiterhin in die Shoppingcenter und Einkaufsstraßen fahren, aber weniger wegen des Shoppings. Wenn ich mit meiner Frau und zwei kleinen Kinder auf die Mariahilfer Straße fahre, warum soll ich mit 6 Einkaufssackerln spazieren gehen, wenn ich mir als Alternative das auch nach Hause oder ins Büro liefern lassen kann?“ Das heißt, der Wandel im Handel findet statt. Bis 2020 soll der Online-Handel auf 25 Prozent steigen.

Machart ist sich sicher, dass es zu einer Zweiteilung kommen wird. „Der Masseneinkauf wird sehr stark online funktionieren. Ich glaub´ aber, dass trotzdem für viele Menschen Einkaufen auch noch ein Erlebnis ist, aber eben ein spezielles Erlebnis. Die wollen nicht jedes Mal zum Einkaufen ein Erlebnis haben, sondern die Güter des täglichen Bedarfes werden sie online bestellen.“

Der Onlinehandel wird sicher auch Auswirkungen auf den Verkehr und die Umwelt haben: „Der Individualverkehr wird eher zurückgehen, die Zustelldienste werden für mehr Verkehr sorgen“, ist Call überzeugt, der darin nicht unbedingt etwas Negatives sehen will. „Die Zustelldienste sind wesentlich effizienter. Der fährt nicht für einen Mantel 50 Kilometer, sondern der bringt 50 Mäntel.“ In Sachen Verkehr sieht er die Politik in der Pflicht. „Da ist sicher noch einiges zu tun. Allein, wenn ich mir die innerstädtischen Ladezonen ansehe. Wer braucht in der Innenstadt eine Anrainerzone zwischen 10 und 16 Uhr?“ Andrea Buchecker ist sich sicher, dass der Wiener Hafen vom Online-Boom profitieren kann. „Im Moment ist der Wiener Hafen im engen Kontakt mit einem Paketdienstleister, um eben genau diese Schiene zu bedienen. Das ist aber für uns ein zweischneidiges Schwert. Wenn wir, die wir ja auch logistisch tätig sind, quasi über den Parkplatz den nächsten Logistikanbieter am Platz haben, der uns Konkurrenz macht. Auf der anderen Seite ist es durchaus sinnvoll, den Standort Hafen logistisch zu nutzen. Wo, wenn nicht dort? Wir sind eine der letzten Flächen in Wien, wo man das wirklich noch machen kann. Wir haben keine Anrainer, die sich über LKW-Fahren in den Nachtstunden beschweren könnten.“