Identität, Einzigartigkeit, Flair

Als selektiv könnte man den österreichischen Retailimmobilienmarkt beschreiben. Es wird zunehmend auf Refurbishment gesetzt und der Trend geht auch mehr Richtung Urbanisierung. Gastro und Entertainment werden zum wichtigsten Bestandteil.

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Als selektiv könnte man den österreichischen Retailimmobilienmarkt beschreiben. Es wird zunehmend auf Refurbishment gesetzt und der Trend geht auch mehr Richtung Urbanisierung. Gastro und Entertainment werden zum wichtigsten Bestandteil.

Marcus Wild, CEO von Handelsimmobilien-Developer Spar European Shopping Centers (SES), sieht die Entwicklungsdimensionen bei Handelsimmobilien mehrschichtig: „Die Volatilität des Erfolgs im Einzelhandel ist gestiegen. Das heißt, manchen Händlern gelingt es exzellent, ihre Marke, ihren Store in den Dimensionen Umsatz und Produktivität zu entwickeln. Gleichzeitig kämpfen andere mit rückläufigen Umsätzen und verlieren gegenüber dem Wettbewerb – sowohl stationär als auch online.” Dieser Trend sei auch innerhalb einzelner Branchen feststellbar. Gründe dafür sieht Wild zunächst einmal im Kommunikationsverhalten: „Die tagesaktuelle Kommunikation und der Informationsaustausch über soziale Medien führt dazu, dass Marken, die vorher einen Hype erlebt haben, schneller aus der Mode geraten können.” Der zweite Aspekt für den SES-CEO: „Wir sehen weiterhin einen augenscheinlichen Trend zur Urbanisierung und zum Refurbishment bestehender Handelsimmobilien.” Darüber hinaus diagnostiziert er, dass die Standortabhängigkeit im Zusammenhang mit der gesamten Entwicklung von Regionen zunimmt. „Sicherheit ist ein Gefühl, das der Konsument in der heutigen Zeit jedenfalls vermittelt bekommen muss. Das ist nicht vorrangig ein Thema der Sicherheitsdienste, sondern eines der Architektur, der Sauberkeit.” Es beinhalte auch die gesamthafte Kundenansprache durch die Betreiber großflächiger Handelsimmobilien, so Wild weiter: „Nur in Ganzheitlichkeit findet sich ein Gefühl der Sicherheit beim Kunden ein.”

Fokus auf Bestlagen

Die Selektivität am Handelsimmobilienmarkt kann auch Jörg Bitzer, Leiter Einzelhandelsimmobilien von EHL Immobilien, bestätigen: „Der seit einigen Jahren zu beobachtende Trend zu ‚Good-Better-Best’ hat sich bei den Einzelhandelslagen im Laufe der letzten zwölf Monate nochmals verstärkt. Expandierende Einzelhändler fokussieren sich zunehmend auf wenige Bestlagen, statt breit gefächerte Expansion zu betreiben.” Da gleichzeitig zwischenzeitlich gut 11 Prozent des Einzelhandelsvolumens auf Onlinehandel entfallen, sinkt die Zahl der Verkaufsflächen trotz leicht steigenden Umsatzes im Einzelhandel in Österreich kontinuierlich, so Bitzer, allein 2015 um gut zwei Prozent. Das wirkt sich auch auf andere Bereiche aus: Während Spitzenlagen sowohl in Shoppingcentern, als auch auf den Top-Einkaufsstraßen unverändert stark nachgefragt sind und somit nach wie vor leicht steigende Mieten verzeichnen können, nehmen die Leerstände in B- und C-Lagen spürbar deutlich zu und es muss nach Alternativnutzungen (Gastronomie, Hotellerie, etc.) gesucht werden, zeichnet Retail-Experte Bitzer den Weg. Basierend auf diesem Umfeld habe auch die Neuentwicklung von Shoppingflächen deutlich abgenommen und die Aktivitäten fokussieren sich primär auf Refurbishments und allenfalls (wie z.B. bei der PlusCity in Linz) auf lang geplante Erweiterungen im Bestand, lautet Bitzers Bestandaufnahme.

Der aktuelle Befund zu Österreichs Handelsimmobilien-Welt fällt für Walter Wölfler, Head of Retail Austria & CEE bei CBRE Österreich, positiv aus: „Generell profitiert der Retailimmobilienmarkt in Österreich von der hohen Kaufkraft, der Nähe zum deutschen Markt und dem florierenden Tourismus und der daraus resultierenden Nachfrage nach Flächen.” Während die Gesamt-Retailfläche durch den Wegfall von Nebenlagen seit einigen Jahren rückläufig ist (derzeit rund 14 Millionen Quadratmeter), steigt der Bestand an Einkaufs- und Fachmarktzentren nach wie vor mit rund 100.000 Quadratmetern pro Jahr (derzeit ca. vier Millionen Quadratmeter), erläutert Wölfler. Und das, obwohl eine sehr restriktive Genehmigungspolitik dazu führt, dass darunter kaum noch substanzielle Neuprojekte sind, so der CBRE-Experte: „Vielmehr werden – dem internationalen Trend folgend – bestehende Objekte erweitert oder verbessert. DieTop-Einkaufsstraßen – Stichwort „Goldenes H” – sind nach wie vor sehr stark gefragt. Die Spitzenmieten sind in guten Lagen stabil, während Nebenlagen dagegen unter Druck stehen.”

E-Commerce als Treiber

Für Retail-Kenner Hannes Lindner reißt die Flächendynamik nicht ab. Der Geschäftsführer von Marktforscher Standort + Markt fragt: „Ist das Ende der Fahnenstange nun endgültig erreicht?” Das rapide Wachstum im Bereich der Shoppingcenter-Flächen lässt nach, konstatiert er, was wohl mehrere Gründe hat: „Einerseits liegt in Österreich eine nahezu flächendeckende Präsenz von Shoppingcentern vor, andererseits ist auch der Expansionsdruck aus dem Handel spürbar geringer geworden. Da mancherorts auch die Verödung von Stadtkernen massiv beklagt wurde, gilt es, auch raumordnungstechnisch im Fall eines Bauvorhabens die entsprechenden Hürden zu meistern.” Ein wesentlicher weiterer Faktor macht sich nun allmählich auch bei Rentabilitätsaspekten bemerkbar, ist Lindner überzeugt: „E-Commerce ist kein zartes Pflänzchen mehr, sondern eine fixe Größe im Portemonnaie der Konsumenten. Fest steht auch: E-Commerce wird wohl kaum die Ertragslage der Shoppingcenter verbessern.” Nach zahlreichen Rent-Roll-Analysen im Zuge von Shoppingcenter-An- und Verkäufen wagt der Retail-Experte zu behaupten, dass die zukünftige Gefahr wohl kaum aus rückläufigen Umsatzmieterträgen resultieren wird: „Der Anteil jener Betriebe, die aufgrund ihrer Performance tatsächlich in der Umsatzmiete liegen, ist verschwindend gering. Und wenn diese in die Umsatzmiete fallen, wird spätesten bei der nächsten Verhandlungsrunde die Basismiete nachgezogen.” Viel eher rücke für ihn die Rent-Sales-Ratio (RSR) in den Vordergrund: Sollte es zu deutlichen Abwanderungen der Umsätze in das Internet kommen, wird sich die RSR für manche Betriebe derart verschlechtern, dass eine wirtschaftliche Führung des Shops kritisch zu hinterfragen sein wird. Lindner: „Die Herausforderung wird darin liegen, neue Abrechnungsmodelle zu schaffen, die auch in Zeiten des E-Commerce einen Interessensausgleich zwischen Flächennutzer und Flächenbereitsteller herstellen.”

Internationale Mieter

Welche Trends sehen die Retail-Experten in der heimischen Shoppingwelt? EHL-Fachmann Jörg Bitzer bleibt optimistisch: „Österreich bleibt - nicht zuletzt auf Grund der hervorragenden Entwicklung auch im frequenzbringenden Städtetourismus - mit seinen Primelagen grundsätzlich ein attraktiver Standort für Einzelhändler. Gleichzeitig wird im Zuge des – zwar nicht mehr ganz so schnell – wachsenden Onlinehandels die Fokussierung auf die Spitzenlagen weiter zunehmen.” Sein Resümee: Ansprechende Architektur, ein attraktives Ambiente, ein Erlebnisumfeld und z.B. ein rasch steigender Anteil von Gastronomieflächen sind Faktoren, die künftig verstärkt über den Erfolg von Handelsflächen und Agglomerationen mitentscheiden werden, ist Bitzer überzeugt. Konzepte wie man sie heute bereits z.B. auf der Mariahilfer Straße in Wien oder auch bei Shoppingcenter-Erweiterungen wie dem Fischapark in Wiener Neustadt oder dem huma eleven in Wien erlebt.

Sonntagsöffnung

retail-graphiken-01Für den innerstädtischen Einzelhandel in den touristischen Top-Zielen Wien oder auch Salzburg wäre darüber hinaus die Einführung von (international weit verbreiteten) Sonntagsöffnungen sicherlich ein zusätzlicher Pushfaktor, schätzt Bitzer. CBRE-Experte Wölfler ortet bei den Einkaufszentren (und teilweise auch bei den Fachmarktzentren) vermehrt den Trend, dass mehr Wert auf Aufenthaltsqualität sowie auf eine massive Stärkung des Angebotes an Unterhaltung sowie Essen und Trinken gelegt wird: „Diese Faktoren werden als Schlüssel gesehen, im Wettbewerb mit den Onlineplattformen erfolgreich zu bestehen.” Demgemäß ist die architektonische und konzeptionelle Qualität von Retailprojekten wesentlich wichtiger geworden, um auch nachhaltig erfolgreich zu sein. Wölfler: „Der Mieterbesatz in den Top-Einkaufsstraßen wird weiterhin verstärkt internationalisiert, insbesondere Wien ist ein ‚Top 10’-Ziel bei der Expansion internationaler Ketten nach Europa.”

„Give me a reason to come back”, lautet die Kurzformel von Standort + Markt-Geschäftsführer Lindner, die er in jedes Stammbuch eines Einzelhandelsstandortes künftig eingetragen sieht. Wobei: „Die Umsetzung in Aktivitäten, die den Konsumenten dazu veranlassen, immer wieder dasselbe Einkaufsziel aufzusuchen, ist alles andere als einfach. Die Wahl des Standortes erfolgt seitens der Konsumenten heute nicht mehr primär über den Umfang des Angebotes und wohl nur mehr bedingt über die Erreichbarkeit des Centers.” Das Tablet am Couchtisch definiert die neue Dimension des Wegwiderstandes, beschreibt Lindner das Szenario: „Wenn der Besuchsanreiz des Centers nicht groß genug ist, ist es nicht mehr erforderlich, das Haus für Einkäufe zu verlassen. Aufenthaltsqualität, Lifestyle, Treffpunktfunktion, Vernetzungsmöglichkeiten aller Art, das scheinen die zukünftig besonders wichtigen Parameter – insbesondere in Bezug auf Shopping Malls – zu werden.” Wenig verwunderlich ist daher für Lindner, dass hier insbesondere die größeren Center bereits gehörig und merkbar aufrüsten: „Dies hinterlässt auch Spuren im Branchenmix. Zwar noch nicht eindeutig in unseren Analysen erkennbar, aber bereits vielfach angekündigt, wird der Gastronomiebereich in den Centern immer wichtiger.” Aber Vorsicht, so der Retail-Experte: „Auch in diesem Bereich macht E-Commerce nicht halt – selbst Speisen können nun Anbieter übergreifend von entsprechenden Diensten online geordert und nach Hause geliefert werden.”

Retail-Zone als Investmentprodukt

retail-graphiken-02Identität, Einzigartigkeit und Flair könnten zukünftig ebenso zu sehr wichtigen Parametern der Konsumenten bei der Standortwahl werden. Vor diesem Hintergrund ist spannend zu beobachten, dass Retail-Zonen von Innenstädten als stabiles und auch im größeren Stil weiterentwicklungsfähiges Investmentprodukt eingestuft werden, schätzt Retail-Berater Lindner: „Muss es denn immer eine Shopping Mall sein oder kann es nicht auch einmal ein einzigartiges Stadthaus sein, das noch dazu zur Story und DNA des Händlers passt?” Für ihn sind daher „Town Center” im Kommen, auch wenn die Entwicklung steinig ist und wesentlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als anno dazumal die Realisierung einer Mall an der Peripherie, ist Lindner überzeugt: „Die Konsumenten werden aber die Bemühungen mit hoher Wahrscheinlichkeit honorieren.”

Was wird also auf die Branche – Betreiber, Errichter, Mieter oder Investoren – in den nächsten Jahren zukommen? Walter Wölfler, Head of Retail Austria von CBRE Österreich: „Internationale Ketten werden in Zeiten von ‚Multi-Channeling‘ bei der Standortpolitik selektiver und konzentrieren sich auf weniger Standorte, diese aber mit ‚Flagship’-Charakter.” Damit seien die Betreiber von Einzelhandelsimmobilien gefordert, ihre Objekte durch entsprechende Investitionen relevant zu halten. Weiters wird die Bedeutung eines professionellen Managements zunehmen, um sich durch Mietermix, Marketing und Innovationen gegenüber dem Mitbewerb zu positionieren, ist Wölfl überzeugt: „Die Nachfrage nach guten Objekten ist hoch, das Angebot allerdings beschränkt. Daher – und auch wegen der restriktiven Genehmigungspolitik – haben die Preise das All-Time-High der letzten 20 Jahre wieder erreicht.” Dies gelte für Einkaufs- und Fachmarktzentren und in besonderem Maße auch für Immobilien in den Einkaufsstraßen. Der Leiter der Einzelhandelsimmobilien bei EHL, Jörg Bitzer, ergänzt: „In den Spitzenlagen sowohl in den Innenstädten als auch in den Top-Shoppingcentern wird es primär darum gehen, aktuelle Mietertrends zu erfassen und mit attraktiven Angeboten das Frequenzpotenzial auszuschöpfen.” Für die Sekundär- und Tertiärlagen gerade auch in Kleinstädten und im ländlichen Bereich, in denen oftmals der Postbote bereits wesentliche “Versorgungsaufgaben” des traditionellen Einzelhandels übernommen hat, werde es umso wichtiger, sich über alternative Nutzungsmöglichkeiten Gedanken zu machen, ist Bitzer überzeugt.

Komplexes Investment

Für Hannes Lindner, Geschäftsführer Standort + Markt, naht „das Tal der Tränen”. Soll heißen: „Center, oder besser, jeder Handelsstandort, der nicht zur Top-Lage zählt, wird zukünftig besonders kritisch auf die Waagschale geworfen.” Wenn der Standort nicht zwingend benötigt wird, weil der Händler ohnedies mit einer stärkeren Abwanderung der Umsätze in den E-Commerce rechnet, wird so weit verhandelt, bis dem Eigentümer die Tränen kommen, erläutert Lindner seine Prognose. Bei Top-Immobilien wird hingegen der Spieß umgedreht: „Dort muss das an schlechten Standorten „Ersparte” zusätzlich dotiert werden, um den Standort abzusichern.” Es würde ihn daher wenig wundern, wenn an Top-Standorten das Bestreben der Eigentümer abnimmt, längerfristige Mieten einzugehen. Frei nach dem Motto: „Mehr Risiko in Form eines kürzeren Mietvertrags, dafür höherer Ertrag durch bessere Verhandlungsposition, sofern die Mieternachfrage groß genug ist.” Vor diesem Hintergrund erwartet er künftig eine noch stärkere Polarisierung des Marktes in Standorte, die richtig „heiß” und entsprechend nachgefragt sind, und in „lauwarme” Standorte, auf die unter Umständen verzichtet werden kann. Lindner: „Auf Eigentümerseite werden Einzelhandelsimmobilien damit immer komplexer, der Markt teilt sich merklich in eine Liga der Top-Player mit extremem Fokus auf Handelsimmobilien auf der einen Seite und Immobilienbesitzer, die eher Statthalter-Mentalität einnehmen.” Die einen investieren laufend, um die Marktposition abzusichern, die anderen überlegen oft erst Investitionsprogramme, wenn der Hut schon brennt und sich eine merkliche Abwärtsspirale abzeichnet, ist der Berater überzeugt. Hier stelle sich für ihn einmal mehr heraus, dass ein Shoppingcenter, egal ob Retail Park oder Mall, kein einmaliges einfaches Investment ist, sondern eine mittlerweile doch recht komplexe Unternehmung darstellt.

Quelle: Fotolia