Regulierungswut

Der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft hat bereits mehrfach eine Entrümpelung der technischen Standards gefordert

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Genug ist genug. Fast alle Interessenvertretungen von Berufsgruppen, die mit dem Planen und Bauen beschäftigt sind, stoßen in das gleiche Horn: Die Regulierung hat eine gefährliche Eigendynamik bekommen. Der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft ÖVI fordert grundlegende Reform des Normungswesen.

Der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft hat bereits mehrfach eine Entrümpelung der technischen Standards gefordert. Fast alle Interessenvertretungen von Berufsgruppen, die mit dem Planen und Bauen beschäftigt sind, stoßen in das gleiche Horn: Die Regulierung hat eine gefährliche Eigendynamik bekommen. Sowohl eine Eindämmung in der Erstellung neuer Regulative als auch ein Hinterfragen bestehender Normen ist gefragt, so die Analyse des ÖVI.

Und ganz allgemein ist Bewusstsein zu schaffen, dass nur ganz wenige Normen rechtlich verbindlich sind, während die deutlich überwiegende Mehrzahl als bloße Empfehlungen zu werten ist. Dieser Unterschied ist sowohl bei der Vertragsgestaltung als auch in der Gerichtsbarkeit zu beachten – daher wäre diese Freiwilligkeit zukünftig deutlicher zu machen. Vor allem bei strafrechtlicher Haftung sollte angesichts der Normenflut die Sorgfaltspflicht nicht automatisch auf den Stand der Technik zu beziehen.

Vom Normungsinstitut zum Normungsfließband

Der Prozess der Wandlung des ehemaligen Österreichischen Normungsinstitutes in das Unternehmen Austrian Standards Institut war sicher ein betriebswirtschaftlich höchst professionelles Projekt – allerdings hat sich das System damit verselbstständigt, die Produktion von Normen wurde zum Geschäftsmodell und damit stellt sich die Frage, ob das Resultat für unsere ohnedies überregulierte österreichische Landschaft sinnvoll bzw. noch tragbar ist? Die bloße Sichtung und Evaluierung von zehntausenden bestehenden Normen allein ist ein wichtiges, wenn auch langwieriges Projekt. Zunächst ist es aber dringend nötig, das System der Normung an der Wurzel anzupacken.

Neben inhaltlichen Fragen gilt es auch die Strukturen des Normungswesens zu reflektieren. Der jüngst präsentierte Entwurf der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für eine neue Struktur des Normungsinstituts ist sehr zu begrüßen. Einige der Gedanken wurden mittlerweile auch in den Begutachtungsentwurf des Wirtschaftsministeriums übernommen.

Wirkungsorientierte Folgenabschätzung

Der ÖVI fordert einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Normung: So positiv technische Weiterentwicklung ist – nicht jede Innovation soll kurze Zeit später zum Standard erhoben werden. Und Standards müssen unbedingt auch daran gemessen werden, was sie für sämtliche Betroffenen bewirken.

Insofern ist die von der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten eingeforderte „wirkungsorientierte Folgenabschätzung“ ein ganz entscheidender Beitrag zur Weiterentwicklung des Systems Normungsarbeit und sollte ehestmöglich umgesetzt und in den Gesetzesentwurf des Wirtschaftsministeriums aufgenommen werden. Nicht nur für neu zu beratende Normen sind die resultierenden Kosten und Auswirkungen intensiv zu beleuchten und sorgsam abzuschätzen. Auch für bestehende Normen sollte diese Evaluierung generell eingeführt werden, um die Angemessenheit der Regelungen zu hinterfragen.

Das von Kammerpräsident Christian Aulinger genannte Beispiel der ÖNORM B 5305, wonach für Fenster einmal pro Jahr eine Wartung durch fachkundiges Personal durchgeführt werden muss, veranschaulicht in erschreckender Deutlichkeit, wie Normungsarbeit in die Irre führen kann. Es mag spezielle Fenster geben, deren Funktion – z.B. aus Brandschutzgründen - so wichtig ist, dass die Funktionsfähigkeit laufend sichergestellt werden muss.

Für herkömmliche Fenster muss der Nutzer aber weiterhin erwarten können, dass sie jahrelang ohne Wartung funktionieren – und das tun sie in der Praxis ja auch. Wenn nun ein Normungsausschuss eine jährliche Wartungspflicht statuiert hat, müssen sich die Experten dem Vorwurf aussetzen, dass ihnen entweder ein technischer Fehler unterlaufen ist oder hier einseitige Interessen eingeflossen sind (zumal von Wartung durch „fachkundiges Personal“ die Rede ist).

Solche Fehlentwicklungen müsste eine wirkungsorientierte Folgenabschätzung verhindern können. Das Beispiel zeigt zudem auf, wie wichtig eine ausgewogene Besetzung der Normungsausschüsse ist. In einer Neuordnung des Normierungsprozesses ist unbedingt auch sicherzustellen, dass alle bei der Anwendung der Norm relevanten Konsequenzen und Interessen ausgewogen betrachtet werden.

[caption id="attachment_1786" align="alignleft" width="181"]Mag. Klaus Wolfinger, ÖVI Bauträgersprecher Mag. Klaus Wolfinger,
ÖVI Bauträgersprecher[/caption]

ÖNORM B 1300 als Musterbeispiel

Auch die ÖNORM B 1300 ist ein Musterbeispiel für überschießende Regelungen: Der Eigentümer einer Immobilie und dessen Vertreter, der Verwalter, sind angehalten, eine umfangreiche Dokumentation über verschiedenste bauliche und technische Aspekte des Hauses zu erstellen. Die dabei verwendeten Formulierungen sind zum einen überbordend, zum anderen zu unbestimmt. Gänzlich außer Acht gelassen wurde bei der Erstellung der Norm aber, welcher laufende finanzielle Aufwand hier auf den Eigentümer zukommt.

Teurer Föderalismus

Einmal mehr ist dies auch Anlass, den unnötig teuren Föderalismus im Baurecht zu überwinden. Ein besonders absurdes Beispiel für die bloßen Lippenbekenntnisse der Landeshauptleute bietet einmal mehr die österreichweite Vereinheitlichung bautechnischer Standards durch die OIB-Richtlinien.

Wer das Landesgesetzblatt von Niederösterreich konsultiert, kann bei genauem Studium der Anhänge eine „verniederösterreicherte“ Fassung einer OIB-Richtlinie erkennen: http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=LgblAuth&Dokumentnummer=LGBLA_NI_20150115_4

Man würde rein aufgrund des Verweises im Gesetzestext auf die OIB Normen nie annehmen, dass diese in vielen Details verändert sind!

Einige Gedanken als Ausblick

Wie unangemessen hoch das Einhalten technischer Standards oft – zumindest im deutschsprachigen Raum – eingestuft wird, konnten wir auch in der Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen miterleben. Als es in der ORF-Sendung „Am Schauplatz“ (ausgestrahlt am 20. August 2015) darum ging, dass in Traiskirchen Hunderte unter freiem Himmel schlafen müssen (?) während im Gebäude einige Zimmer leer stehen, verwies ein sichtlich hin- und hergerissener Beamter des Innenministeriums darauf, dass er eine zusätzliche Belegung des Hauses wegen der Fluchtwegsbreiten nicht verantworten könne.

In Deutschland meinte Kanzlerin Merkel persönlich es könne nicht sein, dass leerstehende Wohnungen als ungeeignet für Flüchtlinge erklärt werden, weil die Balkongeländer nicht der Bauordnung entsprächen. Auch punkto Brandschutz hält sie Ausnahmeregelungen für angebracht. Diese Beispiele sind insofern beachtenswert, weil darin eine Abwägung erfolgt, worin Prioritäten liegen sollten.

Abschließend noch ein Gedanke aus der aktuellen Diskussion zur Überarbeitung der OIB-RL im Hinblick auf Barrierefreiheit. Von verschiedensten Interessenvertretungen wird bemängelt, dass – so der Plan - der Verweis auf die ÖNORM B 1600 entfallen wird und damit auf baurechtlicher Ebene gewisse Elemente der ÖNORM B 1600 nicht mehr verpflichtend sein werden. Offenbar die Quadratur des Kreises…