Schau‘n Sie sich das an

Einer der Vorteile der Arbeit an der Uni ist der, dass man selbst nach vielen Dienstjahren noch Überraschungen erleben kann. Zum Beispiel dann, wenn eine Gruppe von Studierenden statt des üblichen Berichts einen Film produziert.

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Einer der Vorteile der Arbeit an der Uni ist der, dass man selbst nach vielen Dienstjahren noch Überraschungen erleben kann. Zum Beispiel dann, wenn eine Gruppe von Studierenden statt des üblichen Berichts einen Film produziert. Und zwar keinen schnell mit dem Smartphone aufgenommenen, sondern einen mit solider Kameraführung, guter Ausleuchtung, professionellem Schnitt und vor allem einer klaren inhaltlichen Struktur.

Vier Studierende des Masterprogramms „Socioecological Economics and Policy“ (SEEP) der WU haben sich des Themas „Obdachlosigkeit“ angenommen und den Film „Obdachlos – Zuhause am Rande der Gesellschaft“ gedreht, der bald in einigen Programmkinos zu sehen sein wird (nähere Informationen unter www-sre.wu.ac.at/obdachlos/ bzw. www.fb.me/filmprojekt.obdachlos). Mein Tipp frei nach Farkas: „Schau‘n Sie sich das an!“ Es steckt einiges drinnen, worüber es wert ist nachzudenken.

Es ist schon sehr beeindruckend, dass es den Studierenden gelungen ist, praktisch ohne Budget so einen Film zu drehen. Dabei sind sie nicht den einfachen Weg gegangen und haben Gespräche mit Obdachlosen abgefilmt. Nein, sie haben eine sehr spannende Mischung geschaffen aus wissenschaftlich fundierter Information und konkreten Einzelfällen, die zusammen gehalten wird von der Geschichte, wie sie sich als Gruppe an dieses Thema herangearbeitet haben. In den 80 Minuten des Films erfährt man nicht nur, welche Menschen eher obdachlos werden und aus welchen Gründen, sondern auch, was es heißt, auf der Straße leben zu müssen, inwiefern das für Frauen besonders problematisch ist, wie staatliche und nicht-staatliche Organisationen versuchen, negative Begleiterscheinungen der Obdachlosigkeit zu mildern, das Problem gar nicht erst entstehen zu lassen und beim Wiedereintritt in die Gesellschaft zu helfen. Der Film gibt aber auch Tipps dafür, wo jeder einzelne unterstützen kann.

Eine der – wissenschaftlich fundierten – Aussagen des Films ist die, dass das Problem der Obdachlosigkeit in Wien zunimmt. Und das trotz all des bewundernswerten Engagements der Hilfsorganisationen. Und hier ist auch die Immobilienbranche gefragt. Warum verlieren immer öfter Menschen ihr Dach über dem Kopf? Produziert die Branche vielleicht am Bedarf vorbei? Konzentriert sie sich zu sehr auf das oberste Marktsegment und grenzt damit das unterste aus? Denn ebenso wie die Gründe für Obdachlosigkeit ganz unterschiedlich sind, sind es auch die Obdachlosen. Womit die meisten nicht übereinstimmen, ist das Klischee vom versoffenen Sandler, der sich gar nicht helfen lassen will. Obdachlose sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die durch Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen wurden. Die meisten versuchen mithilfe der Betreuungsorganisationen „ins normale Leben“ zurückzufinden, was für sie vor allem heißt, eine Wohnung zu finden. „Leistbares Wohnen“ ist für diese Menschen ein reales Problem, nicht nur eine Überschrift im CSR-Bericht.

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Wiener Unternehmen Shade Tours (www.shades-tours.com), das Touren „Auf den Spuren der Obdachlosigkeit“ anbietet. Dafür stellt es Obdachlose als Tour Guides ein. Die Aufgabe hilft diesen, ins Leben zurückzufinden. Bei den Kunden tragen die Touren zum besseren Verständnis von Obdachlosigkeit und von Obdachlosen bei. Besonders stolz ist das Unternehmen darauf, dass es sich selbst trägt und keine Spenden und Fördergelder benötigt.