Von oben herab

Es ist mittlerweile wirklich kein Geheimnis mehr. Wien platzt aus allen Nähten, die Zuwanderung erhöht die Einwohnerzahl um ein Vielfaches schneller, als von Experten ursprünglich prognostiziert.

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Es ist mittlerweile wirklich kein Geheimnis mehr. Wien platzt aus allen Nähten, die Zuwanderung erhöht die Einwohnerzahl um ein Vielfaches schneller, als von Experten ursprünglich prognostiziert.

Und: Die Stadt hinkt diesem enormen Zuwachs mit ihrer Wohnbaupolitik enorm hinterher.

Es wird – und da kann man jetzt als Wohnbaustadtrat die Wohnbauzahlen in den Medien noch so in den Himmel loben – unterm Strich einfach viel, wirklich viel zu wenig gebaut.

Es ist sicher richtig, dass die öffentliche Hand in Wien mehr Wohnraum als andere Städte im internationalen Vergleich schafft – es nutzt nur nichts, wenn es sich immer noch nicht ausgeht. 30.000 – 40.000 Menschen ziehen mittlerweile pro Jahr in unsere Bundeshauptstadt. Diese baut pro Jahr gerade einmal 7.000 neue Wohnungen, wenn man jene, die die private Immobilienwirtschaft errichtet, dazu zählt.

Dass neben ausreichendem Wohnbau auch die Investitionsanreize und damit eine Wohnbauankurbelung im privaten Immobilienbereich fehlen, muss ich nicht mehr extra erwähnen. Nahezu täglich bietet sich die Wirtschaft mit der Politik in Wien ein Medienmatch, in welchem dringende Maßnahmen im Mietrecht, bei Baukosten und bei Flächenwidmung von uns eingefordert werden, um endlich im privaten Bereich loslegen zu können.

Auf eine – bis jetzt öffentlich noch wenig beachtete - Unsinnigkeit in diesem Wirrwarr an Wohnbaubremsregelungen möchte ich hier und jetzt etwas genauer eingehen.

Wissen Sie, wie viele Wohnungen zurzeit nicht gebaut werden, weil sie quasi im Instanzenzug hängen und von Anrainern blockiert werden? 20.000 Wohnungen sind es, in Worten zwanzigtausend, die derzeit in Wien im Instanzenzug ausgebremst statt ausgebaut werden.

Ich bitte Sie, sich die Folgen dieses Irrsinns vor Augen zu führen!

Weil Anrainer ihre Rechte nicht nutzen, sondern bis ins letzte Detail auszelebrieren, fließt ein Drittel der Arbeitszeit eines jeden Baupolizisten in die Prüfung von Anrainereinwänden. Bedenken Sie bitte neben dem zusätzlichen Wohnraum, wie viele Arbeitsplätze und wie viele Sanierungsmaßnahmen durch diese Einwände in der Luft hängen.

Statt bei der Bewilligung eines Bauvorhabens im Sinne eines schlanken Verfahrens zu prüfen, ob Anrainerrechte gewahrt bleiben, dürfen diese ihre ganz persönlichen, subjektiv empfundenen Rechtsverletzungen bis zur Unendlichkeit darlegen.

Zur Klarstellung: Ich bin ein absoluter Verfechter der Wahrung der Rechte jedes Einzelnen und das auch, wenn es mich selbst als Unternehmer quasi „trifft“. Aber wenn es um Interessen der Allgemeinheit geht, und dazu gehört für mich u.a. ausreichende Versorgung mit Wohnraum, dann muss das Gesamtinteresse über dem Interesse des Einzelnen stehen, sofern dieser nicht in seinen Grundrechten verletzt wird. Wenn also die Sanierung eines Gründerzeithauses durch einen Anrainerprotest gegen den Dachausbau gebremst wird, obwohl der Umbau allen rechtlichen Anforderungen zur Gänze gerecht wird, darf dies ein Bauvorhaben nicht um Jahre verzögern.

Die Lösung wäre im Grunde genommen sehr einfach, erfordert jedoch einiges an politischem Mut. Schlanke Verfahren brauchen klare Vorgaben von einer dem Bezirk übergeordneten Stelle. Es braucht auch klare Kommunikation darüber, dass das Allgemeinwohl über dem Einzelinteresse steht.

Dafür muss die Politik sich trauen, die Beamten zu stärken und durch rechtliche Rahmenbedingungen zu entlasten. Als gewählter Volksvertreter muss man den Mut haben, Regelungen und Maßnahmen auch bei Gegenstimmen umzusetzen und darf Beamte nicht zum politischen Kleinkrieg  mit möglichen Wählern an die Front schicken.

Wie es gehen könnte, wissen die politischen Verantwortlichen jedenfalls haargenau. Beim eigenen Notverordnungspaket für Flüchtlingsunterkünfte wurde der Hemmschuh Anrainerprotest jedenfalls ganz unkonventionell aus dem Weg geräumt.

Also liebe Politik, sie haben ja schon Übung darin: Einmal bitte von oben herab – diesmal aber dort, wo es wirklich gebraucht wird!