Werte bewerten

Ein bisschen was geht immer. Die Rechnung ist wirklich nicht einfach: Zwar gibt es gut festgelegte Kriterien, wonach ein Immobilienobjekt bewertet werden kann. Aber dennoch spielen Marktkenntnis, Erfahrung und sicher auch eine gute Portion Geschick der Bewerter eine nicht unwesentliche Rolle, wenn es um die Wertfeststellung von Objekten geht.

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Ein bisschen was geht immer. Die Rechnung ist wirklich nicht einfach: Zwar gibt es gut festgelegte Kriterien, wonach ein Immobilienobjekt bewertet werden kann. Aber dennoch spielen Marktkenntnis, Erfahrung und sicher auch eine gute Portion Geschick der Bewerter eine nicht unwesentliche Rolle, wenn es um die Wertfeststellung von Objekten geht.

Grundsätzlich basiert jede Bewertung auf einigen „Key Facts“, erklärt Eduard Gruber, Sachverständiger für Immobilien bei der Erste Group Immorent, die Welt der vermietbaren Nutzfläche, Mieteinnahmen und Baujahre. „Der Immobilienbewerter muss sich aber auch insgesamt ein Bild von der Immobilie machen und persönlich einschätzen, wer dieses Objekt am Markt erwerben wird oder kann, ob es sich beispielsweise um Privatpersonen oder Fonds handelt.“

Heinz Muhr, Immobilienbewerter und Geschäftsführer bei contecimmo bekräftigt: „Die Ermittlung von Werten im Sinne des Liegenschaftsbewertungsgesetzes ist kein statisches Handwerk, sondern eine dem stetigen Wandel unterliegende interdisziplinäre Tätigkeit. Dabei sind auch internationale Entwicklungen zu beobachten, gegebenenfalls zu berücksichtigen und folgend auf die nationalen Gegebenheiten zu transformieren.“ So haben sich die Bewertungsmethoden seit der Einführung des Liegenschaftsbewertungsgesetzes im Jahr 1992 stetig weiter entwickelt. Die Globalisierung der Finanzwirtschaft und die Entstehung des Binnenmarktes in der EU verstärkten außerdem den Wunsch der Auftraggeber nach weitgehender Harmonisierung der Wertbegriffe und der Bewertungsmethoden, erzählt Muhr und nennt mittlerweile zum Standard zählende Konzepte wie beispielsweise die Vereinigung TEGoVA (The European Group of Valuers Associations).

Marktkenntnisse

Standards hin oder her, eines ist jedoch immer erforderlich, so Muhr: „Jede Immobilienbewertung setzt die genaue Kenntnis des lokalen Marktes voraus. Dabei ist eine hohe Transparenz naturgemäß von Vorteil.“ Transaktionen von Immobilien vollziehen sich allerdings oft nach intransparenten Kriterien, weiß der contecimmo-Geschäftsführer, und seien meist nur unzureichend und unvollständig nachvollziehbar: „Österreich belegt aktuell im Global Real Estate Transparency Index die 14. Stelle innerhalb Europas.“ Eine Cross Border Valuation stellt den Immobiliensachverständigen in der Regel ebenfalls vor größere Schwierigkeiten, da die wertrelevanten Marktdaten – mangels detaillierter Kenntnis – meist erst erhoben werden müssen, weshalb Muhr für kollegiale Hilfestellung vor Ort plädiert.

Auf die Akteure kommt es an

Fundierte Marktkenntnisse sind auch für Michael Reinberg von Reinberg & Partner das A&O einer Bewertung durch Sachverständige: „Dazu zählt nicht nur die Kenntnis über die Objekte und Projekte, sondern auch über die Akteure. Dies ist insofern von Bedeutung, da für die Bewertung Vergleichsdaten erhoben werden müssen, die nicht nur von ähnlichen Objekten abgeleitet werden sollen, sondern auch in räumlicher und zeitlicher Nähe zum Bewertungsobjekt bzw. zum Bewertungsstichtag liegen sollen.“ Für die Datenerhebung sind Analysen im technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich notwendig (Standort-, Markt- und Wettbewerbs-, Gebäude-, Mietanalysen), ergänzt Reinberg.

In der Theorie ist alles einfach

Grundsätzlich richtet sich die gewählte Bewertungsmethode, mit der der Verkehrswert ermittelt wird, nach der „üblichen“ Objektnutzung: Objekte, die nicht zur Befriedigung des eigenen Wohnbedürfnisses dienen, werden in der Regel zur Ertragserzielung (Wertsteigerung, Werterhalt) angeschafft. Dabei, so Reinberg weiter, klinge der theoretische Bewertungszugang relativ einfach: Es sind die zu erwartenden Zahlungsströme (z.B. Mieten oder Verkaufserlöse) nach deren Zeitpunkt, Sicherheit und Höhe einer Barwertberechnung zu unterziehen. Die Qualität einer Bewertung hänge primär von der Qualität der Eingangsdaten ab, erläutert Experte Reinberg: „Entsprechen diese den „üblichen“ Entscheidungsgrundlagen der Marktteilnehmer, dann wird der ermittelte Wert mit dem Verkehrswert übereinstimmen und zu einer „Punktlandung“ führen.“

Zeitintensiv und kostspielig

Die Schwierigkeit für den Adressaten eines Gutachtens liegt jedoch darin zu erkennen, ob diese Vergleichsdaten einfach so „dahingeschätzt“ oder tatsächlich erhoben wurden. Reinberg: „Die Datenerhebung ist die zeitintensivste Tätigkeit der Bewertung und insofern auch die kostenintensivste.“ Die Folge: Ist das Honorar gering, kann meist nur wenig Zeit der Datenerhebung gewidmet werden und folglich ist das Ergebnis mit einer größeren Bandbreite zu betrachten bzw. sind die getroffenen Einschränkungen und Annahmen sehr groß, berichtet Reinberg von einem Beispiel: „Eine Immobiliengesellschaft möchte das Portfolio bewerten lassen. Das Honorarangebot: Bei einem Objekt von 20 Millionen Euro beträgt das Pauschalhonorar für die Bewertung 0,12 Prozent des Wertes. Dass damit keine umfangreiche Datenerhebungen und Befundaufnahmen durchgeführt werden können, liegt auf der Hand.“

Bedeutung der Kriterienauswahl

Bewertungs-Doyen Alfons Metzger weiß auch um das Spannungsfeld „objektive Kriterien“ versus „qualitative Beurteilung“: „Bei der Bewertung eines Immobilienobjektes sind eine Vielzahl von Kriterien und Faktoren wertbeeinflussend und entscheidend, wobei je nach Assetklasse jedem Kriterium eine unterschiedliche Bedeutung und Wertbeeinflussung zukommt.“ Diese Kriterien werden beim Bewertungs­prozess (auszugsweise) herangezogen:

  • Lage und Umgebung (Erreichbarkeit, Nachbarschaft, Immissionsbelastungen)
  • Image des Standortes
  • Das Objekt selbst (Ausstattung, Raumaufteilung und Nutzbarkeit, Drittverwendungsmöglichkeiten)
  • Baualter, Zustand und Instandhaltung des Objektes
  • Mögliche Ertragssituation
  • Mit dem Objekt verbundene Risiken
  • Lage auf dem örtlichen Immobilienmarkt
  • Belastungen wie etwaige Dienstbarkeiten, Altlasten etc.
  • Entwicklungsmöglichkeiten

Metzger: „All diese Merkmale sind wertbeeinflussend und werden je nach Sachverständigem zum Teil unterschiedlich bewertet und haben damit einen Einfluss auf das Ergebnis.“ Martin Roth, Geschäftsführer des Bewertungsunternehmens Immobilienrating GmbH, formuliert es ähnlich: „Bei gewerblich genutzten Objekten gehe ich davon aus, dass diese vermietet sind und daher der vom Ertrag abgeleitete Verkehrswert marktgerecht ist.“ Für derartige gewerblich genutzte Ertragsimmobilien wird die Preisfindung am Immobilienmarkt von den erwarteten zukünftigen Erträgen bestimmt, denn die vermietete Immobilie hat den Wert, der durch die zukünftig erzielten Erträge aus Mieten bzw. einem späteren Abverkaufserlös der Immobilie zustande kommt, erklärt Roth. Neben den auf der baulichen Analyse basierenden Objekteigenschaften seien natürlich die Ergebnisse der Mietvertragsanalyse und auch des Marktresearches wesentliche wertbestimmende Kriterien. So lassen sich aus der baulichen Analyse der Instandhaltungsbedarf oder ein Reparaturstau ableiten und in der Bewertung dem vorgefundenen Zustand entsprechend ansetzen.

Weiters sei beispielsweise als Ergebnis der Mietvertragsanalyse wichtig, ob die Mieten eine Mietanpassung über den Verbraucherpreisindex haben, ob diese „overrented“ - also höher als die marktüblichen Mieten sind, oder „underrented“ - also niedriger als marktüblich seien, so Roth weiter: „Ebenso ist die Höhe der Bewirtschaftungskosten, das sind vor allem die Instandhaltungskosten, Verwaltungskosten und das Mietausfallswagnis, sowie der Betriebskosten für eine fachgerechte Beurteilung und Bewertung einer Ertragsimmobilie wesentlich.“ Das Marktresearch ist die Basis für die richtige Beurteilung der Lage, ob die angesetzten Mieten marktgerecht sind und ob z. B. bei Handelsimmobilien die Kaufkraft im Einzugsgebiet ausreichend ist, so Bewertungsexperte Roth.

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„Bei nahezu allen Assetklassen gibt es einen Spielraum von 10 bis 15 Prozent.“ - Eduard Gruber, Erste Group Immorent

Interpretationsspielraum

Welchen „Interpretationsspielraum“ orten die Bewertungsexperten bei zu analysierenden Objekten? Immorent-Sachverständiger Gruber geht zunächst einmal vom Normalfall aus: „Hier sollte jede Bewertung auf Fakten beruhen. Besonderen Spielraum in der Bewertung bieten zukunftsorientierte Bewertungen, wie etwa ein Residualwertverfahren mit vielen Parametern. Bei nahezu allen Assetklassen gibt es einen Spielraum von 10 bis 15 Prozent. Gerade bei Objekten, bei welchen es nicht genügend Vergleichsobjekte gibt, kann es zu größeren Wertunterschieden kommen. Bei Ertragsimmobilien, die nachhaltig vermietet sind und sich in einem funktionierenden Markt befinden - wie z.B. Wohnimmobilien in Wien - sollte der Spielraum eher eingeschränkt sein.“ Gehe man mehr ins Detail, so Gruber weiter, kann man beispielsweise bei Büroimmobilien zusätzlich folgende Kriterien berücksichtigen: Vorhandensein eines Energiezertifikats, Betriebskostengarantie (Stichwort: Gesamtaufwand für den Mieter) sowie Infrastruktur.

Im Bereich Retail, führt der Immorent-Experte aus, sei die Lage entscheidend (Stichwort: Kaufkraft) sowie Objektgröße, Sichtbarkeit, Konfiguration (Schaufensterbreite, Lokaltiefe, Ober- und Untergeschosse) und der Mitbewerb in der Umgebung. Bei Hotels gehe es um den Gesamtmarkt (durchsetzbare Zimmerpreise, nachhaltige Auslastung), um das Flächenverhältnis Zimmer zu sonstigen Flächen, das Betreiberkonzept, die Zimmer,- sowie Mitarbeiteranzahl. Bei Logistikimmobilien sind Autobahnanbindung, also die Lage, entscheidend sowie Betriebskosten und Grundkostenanteil. Flexible Abtrennmöglichkeit (Sonderausstattung wie Kühllager etc.) werden ebenfalls berücksichtigt. Was für alle Assetklassen gilt: „Die Mieterstruktur und das Mietniveau spielen eine wichtige Rolle.“

Keine Mieter, keine Käufer

Das kann auch Bewerter Reinberg bestätigen: „Für Bewertungen bei gewerblichen Assetklassen sind die Basisanalysen - technische, rechtliche, wirtschaftliche Analysen - erforderlich. Dabei ist nicht nur der Assetmarkt, also der Käufer-, Verkäufermarkt, sondern auch der „Spacemarket“, das „Mietgeschehen“, zu beobachten.“ Nach dem Motto: „Keine Mieter, keine Käufer“. Der Wert von Hotel- und Retail-Immobilien wird stark durch die Ertragskraft des Unternehmens, das die Liegenschaft nutzt, bestimmt. Zudem ist zu prüfen, welche Nutzung zum „höchsten und besten“ Nutzen führt, erklärt Reinberg. Meistens kommt es mit der Zeit zu Veränderungen und daher sind die ursprünglich angesetzten Ergebnisse der Analysen zu korrigieren und anzupassen: „So ist bei Immobilien mit einem kleinen Marktteilnehmerkreis die Mietvertragsqualität besonders wichtig.“

Wesentliche Kennzahl bei der Ertragswertermittlung ist die Rendite. „Dabei ist zu beachten, dass „kolportierte“ Renditen nicht einfach zu übernehmen sind, da der Begriff nicht eindeutig ist“, mahnt Reinberg. „So werden zum Beispiel Wiener Zinshäuser in Toplagen mit Renditen von 1,0 bis 1,5 Prozent beurteilt. Betrachtet man über die letzten 15 Jahre die Renditen, die sich aus Mieten und Wertsteigerung ergeben, stellt man fest, dass Angaben nicht zutreffen, sondern die Renditen deutlich höher liegen - eine Wertsteigerung von 3.500 Euro pro Quadratmeter auf 15.000 Euro pro Quadratmeter sind für derartige Objekte keine Seltenheit“.

Für Immobilienrating-Chef Roth ergeben sich „naturgemäß unterschiedliche Prioritäten der verschiedenen Bewertungskriterien.“ So sind beispielsweise die Lage und Verkehrsanbindung für eine Logistikimmobilie die wesentlichen wertrelevanten Kriterien, während bei einem Büroobjekt diese natürlich auch wesentlich sind, aber nicht im selben Ausmaß wie bei einer Logistikimmobilie, weiß Roth. Hinsichtlich der Lage ist bei Retailobjekten die Frequenz der Passanten und auch die Kaufkraft im Einzugsgebiet wesentlich, bei Stadthotels steht wiederum die zentrumsnahe Lage und öffentliche Erreichbarkeit im Vordergrund. Hinsichtlich des baulichen Zustandes ist dieser für den nachhaltigen Ertrag z. B. einer Hotelimmobilie sensibler zu beurteilen und im höheren Ausmaß relevant als bei einer Logistikimmobilie.

Bei Retailimmobilien komme noch eine weitere Detailangabe zum Tragen, so Roth: „Hier ist z. B. auch zu prüfen, ob sich der jeweilige Mieter und dessen Branche die aktuelle Miete auf Grund des erwirtschafteten Jahresumsatzes pro m2 Verkaufsfläche langfristig leisten wird können und ob die Betriebskosten marktgerecht sind.“ Bei allen Objektarten ist auch der Grundriss des Objektes, und ob dieser für die jeweilige Nutzung optimal ist, zu befunden und zu beurteilen. Weiters ist auch die Teilbarkeit der Flächen in der Vermietung, z. B. bei großen Büro- oder Retailimmobilien, ein wertbeeinflussendes Kriterium. Daneben sind natürlich der Ausstattungszustand des Objektes und die bauliche Qualität wie auch der Erhaltungszustand wertrelevant, so Roth.

Keine mathematische Exaktheit

Contecimmo-Chef Muhr sieht eine gewisse Sensibilität bei den Eingangsdaten einer Analyse gegeben: „Die Wahl des Wertermittlungsverfahrens obliegt dem beauftragten Sachverständigen. Dabei ist die Dominanz des Vergleichswertverfahrens zu unterstreichen, da natürlich Elemente des Vergleichens auch den anderen Verfahren immanent sind.“ Bei bebauten Liegenschaften – mit wenigen Ausnahmen – wird die Wahl der Wertermittlungsmethode davon abhängen, ob der Wiederbeschaffungswert im Vordergrund steht oder aber die Ertragsabsicht. Für Alfons Metzger ergibt sich aufgrund dessen ein quasi einfaches Resümee: „Angesichts der Unsicherheit einzelner in die Bewertung einfließender Faktoren, insbesondere der Notwendigkeit, auf Erfahrungswerte zurückzugreifen, kann das Ergebnis der Bewertung keine mit mathematischer Exaktheit feststehende Größe sein.

Der Gutachter hat jedoch nach bestem Wissen einen eindeutigen Wert anzugeben.“ Jede der bis dato angeführten Kriterien werden für die Bewertung der Immobilien herangezogen, so Metzger, der Unterschied liege allein in der Gewichtung in Bezug auf die einzelne Assetklasse: „Wenn man sich die Einflüsse der Kriterien und Faktoren nach den verschiedenen Immobilienarten ansieht, dann wird bei Gewerbeimmobilien im Allgemeinen zum Beispiel das Kriterium der Lage und Erreichbarkeit ein gewichtigeres sein als bei einer Wohnimmobilie.“