Wettbewerbsfaktor Familienfreundlichkeit

„Familie und Beruf“. Familienministerin Sophie Karmasin will Österreich zum familienfreundlichsten Land Europas machen. Wie sie dies schaffen kann, erzählt sie im ersten Interview eines Immobilienmagazins.

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„Familie und Beruf“. Familienministerin  Sophie Karmasin will Österreich zum familienfreundlichsten Land Europas machen. Wie sie dies schaffen kann, erzählt sie im ersten Interview eines Immobilienmagazins.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Schwerpunkt „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“?

Wir wollen Österreich zum familienfreundlichsten Land Europas machen. Mit der Initiative „Unternehmen für Familien“ verfolge ich das Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Selbstverständlichkeit zu machen – mit dem Wissen, dass Familienfreundlichkeit ein entscheidender Wirtschafts-, Standort- und Lebensfaktor der Zukunft ist.

Seit Start der Initiative im vergangenen Jahr haben sich österreichweit bereits mehr als 320 Partner aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung angeschlossen.

Familienfreundlichkeit ist längst nicht mehr nur eine Frage von sozialem Engagement, sondern von elementarer Bedeutung für den Wirtschafts-, Lebens- und Zukunftsstandort Österreich. Höhere Motivation und Mitarbeiterbindung sowie weniger Fluktuation und Krankenstände sind dabei nur einige positive Argumente, die sich durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreichen lassen.

Wir sind auf einem guten Weg und wissen, dass wir die Unternehmen mit auf dem Weg zum familienfreundlichsten Land Europas brauchen. Deshalb die Gründung dieser Initiative. Die Teilnahme ist möglichst einfach gehalten. Wir wollen die Unternehmen einladen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Familienfreundlichkeit ein Wettbewerbsfaktor? Ist sie das wirklich?

Das ist sie. Nachgewiesenermaßen haben familienfreundliche Unternehmen weniger Krankenstände, geringere Fehlzeiten, längere Verweildauer im Unternehmen und bessere und umfangreichere Bewerberpotenziale. Es wirkt. Und es ist ein Maßnahmenbündel, das sehr effizient ist.

… und ist es in jeder Branche umsetzbar?

Jede Branche hat ihre spezifischen Aufgaben und Charakteristika. Der Bereich „Bau und Immobilien“ ist geprägt von herausfordernden Arbeitszeiten, Fachkräftemangel. Fluktuation stellt eine weitere Herausforderung dar. Eine nachhaltige Unternehmenspolitik und Familienfreundlichkeit sind zentrale Aufgabenstellungen.

Gibt es Branchen, die bereits stark vertreten sind?

Der Handel ist mit unter anderen REWE, Spar, Hofer, Lidl und Libro bereits gut – vor allem auch flächendeckend – vertreten. Aus der Bau- und Immobilienbranche treten namhafte Unternehmen wie die BIG, die Rhomberg Bau, die KaufmannGruppe oder die ASFINAG für mehr Familienfreundlichkeit ein und leisten dazu einen aktiven Beitrag – freiwillig, aus Überzeugung und unter Einbindung der Mitarbeiter.

Das sind überwiegend größere Unternehmen. Wie hängt Familienfreundlichkeit mit der Größe von Unternehmen zusammen? Sind Familienunternehmen per se familienfreundlicher als die Großunternehmen?

Am Anfang stehen die Großen im Fokus, das ist klar. Das Netzwerk ist natürlich auch für kleinere Unternehmen gedacht. Wir wollen in alle Regionen und in alle Unternehmensgrößen hinein. Es gibt auch schon genügend kleine Unternehmen, die dabei sind. Da gibt es unterschiedliche Zugänge. Für Familienunternehmen ist Familienfreundlichkeit so bedeutend, weil der Faktor Mensch oder Mitarbeiter noch viel wichtiger ist. Weil sie im Regelfall auch kleiner strukturiert sind. Familienunternehmen leben das auf einer sehr individuellen, flexiblen Basis. Wenn da ein Mitarbeiter mit seinem Kind spontan zum Zahnarzt muss, dann ist das meistens kein Problem. In einem großen Konzern ist das schwieriger. Die haben dafür andere Maßnahmen. Vielleicht einen Betriebskindergarten, Teilzeitmodelle oder geteilte Führungsjobs.

Klingt nach hohen Kosten …

Familienfreundlichkeit lässt sich so einfach realisieren. Das Thema ist sehr wichtig, aber nicht wahnsinnig teuer. Es sind keine Maßnahmen, die Millionen Euro kosten. Es kommt auf die Haltung an: Bin ich flexibel, kann ich mich auf das Thema einstellen.Dann ermutige ich auch Männer, in Karenz zu gehen. Sie sind schon dankbar, wenn sich der Arbeitgeber informiert und Männerkarenz ermöglicht, dass man nicht nur als Arbeitskraft, sondern auch als Mensch gesehen wird.

Für Unternehmen jeder Branche und Größenordnung ist es eine Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren. Es geht nicht nur um den Ruf, ein sympathisches Unternehmen zu sein. Unternehmen agieren nach ökonomischen Prinzipien. Es geht darum, mit dem Team und den Ressourcen die beste Leistung am Markt zu erzielen. Auch wenn Familienfreundlichkeit als Softfaktor gilt, bin ich überzeugt, dass sie in Wahrheit eine ganz wichtige Stellschraube ist. Viele Branchen haben trotz hoher Arbeitslosigkeit mit einem Facharbeitermangel zu kämpfen. Fachkräfte, vor allem in der Bauwirtschaft, sind mehr als gefragt. Aufgrund der soziodemografischen Entwicklungen gehen sie zurück. Schon bald wird in Österreich – in Deutschland ist es schon so weit – ein Run auf Fachkräfte einsetzen. Dann zählen nicht nur Elemente wie Bezahlung und Karriere, sondern auch die Work-Life-Balance. Gerade bei jungen Menschen zählt nicht nur das Gehalt. Was mir besonders wichtig ist hervorzuheben: Für jede Branche und Größenordnung gibt es eigene Konzepte, eigene Herangehensweisen.

Mit dem Beitritt zum Netzwerk „Unternehmen für Familien“ bekennen sich Unternehmen und Gemeinden dazu, einen aktiven Beitrag für mehr Familienfreundlichkeit im eigenen Verantwortungsbereich zu leisten sowie Vorbild und Ansporn für andere zu sein.


Netzwerktreffen

Ziel von „Unternehmen für Familien“ ist es, wesentliche Stakeholder miteinander zu vernetzen, Bewusstsein für relevante Themen zu schaffen und eine familienfreundliche Arbeits- und Lebenswelt noch mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu stellen. Familienfreundlichkeit soll zu einem Markenzeichen der österreichischen Unternehmen und Gemeinden gemacht werden. Ein solches Vernetzungstreffen mit der Bau- und Immobilienbranche fand Ende September auf Einladung von BM Sophie Karmasin in Wien mit Unterstützung der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) statt und alle Teilnehmer zogen ein erfolgreiches Resümee.

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Das Thema wird den ImmoFokus die nächsten Ausgaben begleiten und in der kommenden Winterausgabe gibt es dazu einen ersten Schwerpunkt. "Wir bleiben dran!" , so Michael Neubauer.

Dabei waren unter anderem: 

Markus Arnold (Arnold Immobilien), Sandra Bauernfeind (EHL Immobilien), Gerald Beck (Raiffeisen evolution), Sabine Dorn (ÖGNI), Ingrid Fitzek-Unterberger (BUWOG), Ronald Goigitzer (GNK Media House ), Martina Jankoschek (Raiffeisen Immobilien Vermittlung), Daniel Jelitzka (JP Immobilien), Sophie Karmasin (Bundesministerium für Familien und Jugend), Philipp Kaufmann (KaBB), Mathilde Kraus (Familie & Beruf Management), Alexander Mäder (BIG), Christine Marek (CM Consulting), Michael Neubauer (GNK Media House), Diana Neumüller-Klein (STRABAG SE), Sigrid Niemeier (Calcon), Edith Peter (Kibis), Alexandra Pongratz (BMFJ), Elsa Prochazka (elsa prochazka), Thomas Schenk (Baumeister Schenk), Gernot Schöbitz (KONE), Karl Josef Weidlinger (Swietelsky), Elisabeth Wenzl (Familie & Beruf Management), Martina Wimmer (BUWOG), Doris Wirth (BLUESAVE), Sabine Wölbl (potenzialfinder.com), Michael Zöchling (BAR Real Estate Austria).


„Aus dem Vernetzungstreffen nehme ich viele spannende Eindrücke und Vorschläge mit. Die heutige Diskussion bestärkt mich darin, dass wir mit den Zielen der Initiative auf dem richtigen Weg sind.“ Sophie Karmasin, Bundesministerin

bildschirmfoto-2016-09-28-um-15-04-29Der große Vorteil dieses Projektes ist das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen im Unternehmen. Damit steigt auch die Akzeptanz und Motivation für die Umsetzung der Maßnahmen.“ Sabine Wölbl , potenzialfinder.com

schoebitz-gernot-kone-ag-managing-director-kone„Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewinnt für Unternehmen in zunehmendem Maße an Bedeutung. Um hier im internationalen Wettbewerb nicht nachzustehen, sind Gesetzgeber und Sozialpartner gefordert, die geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen für zeitgemäße und familienfreundliche Arbeitsmodelle zu schaffen." Gernot Schöbitz, KONE Österreich

„Leider steht auch hier wieder einmal der Begriff „Familie“ zu 90 Prozent für „Frau“. Frauen sind im beruflichen Alltag mit Schwierigkeiten und beruflichen Nachteilen konfrontiert, die sich zu einem guten Teil auch aus Karenz und daraus resultierender Teilzeit ergeben, die sich ein Mann kaum vorstellen kann." Ingrid Fitzek, BUWOG AG