Wohnen in den 1920ern

Kommentar von Johann Brdecka und Walter Senk zum Artikel "Weniger Quadratmeter geht gar nicht"

von 0 Minuten Lesezeit

1923. Johann Brdecka wurde in einer Zeit geboren, als leistbares Wohnen kein Thema war. Es ging viel mehr darum, ein Dach über dem Kopf zu haben. Seinen Bezirk Neubau hat er nie verlassen. Eigentlich nicht einmal sein Grätzel.

„Wir hatten immer ein Glück mit unseren Wohnverhältnissen, das muss ich schon sagen. Zuerst haben wir in der Spittelberggasse gewohnt. Es gab eine kleine Küche, ein Zimmer und ein Kabinett. Da wir aber sechs Personen waren, mein Vater, meine Mutter und vier Kinder, zogen wir in die Neubaugasse 52. In das Haus, in dem jetzt der „Schnitzelwirt“ ist. Die Wohnverhältnisse waren hier weitaus besser, also zumindest haben wir mehr Platz gehabt. Wir hatten eine große Küche, ein großes Zimmer und zwei Kabinette. Die beiden Kabinette waren immer vermietet, da mein Vater alleine nicht den Zins zahlen konnte, obwohl er als Bäcker in der Josefstädterstraße gearbeitet hat.

Die restliche Familie teilte sich in dem großen Zimmer auf, wobei wir noch einen Bettgeher hatten, der am Diwan im Zimmer geschlafen hat. Er kam in der Nacht, legte sich nieder und in der Früh ist er wieder aufgestanden und gegangen.

Die Untermieter und Bettgeher haben schnell gewechselt, zwei Monate, ein halbes Jahr oder Jahr verbrachten sie bei uns, je nachdem, wie sie ihren Zins zahlen konnten. Wir waren aber nicht die einzigen im Haus, die untervermietet haben und man hat manchmal nicht gewusst, wer jetzt wohin gehört.

Wir haben aber wunderbar gewohnt, so wie wir gewohnt haben. Es gab noch ganz andere Sachen. Ein Schulkollege von mir, hat in der Lindengasse 3 gelebt. Das war in einem Lichthof, in dem war ein Raum, vielleicht ein altes Magazin oder so etwas und dort hat die Familie gewohnt. In der Früh musste seine Mutter immer die Bettwäsche zum Trocknen aufhängen, weil der Wohnraum so feucht war. Mein Schulkollege hat auch nie jemanden eingeladen, weil die Zustände bei ihm zu Hause so schrecklich waren.

Das Klo bei uns war natürlich am Gang, aber ich habe niemanden gekannt, der ein Klo in der Wohnung gehabt hat. Es hat eine Kerze gegeben, damit man was sieht. Ich bin erst nach dem Krieg, als ich aus der Gefangenschaft kam, mit meiner Frau in eine Wohnung gezogen, wo das Klo in der Wohnung war. Das war 1948. Mittlerweile wohne ich fast 67 Jahre in dem Haus.

Am Gang gab es natürlich auch die Bassena und von dort musste immer einer von uns Kindern das Wasser holen. Die Gemeinschaft war aber sehr schön, weil sich bei der Bassena die Leute getroffen und sich unterhalten haben und man sich auch gegenseitig eingeladen hat. Die Tratscherei war natürlich größer, aber dafür gibt es heute das Fernsehen.

Man hat natürlich seine Nachbarn gekannt und das war besser, weil der Zusammenhalt stärker war. Bei uns gab es einen langen Hof und im Winter haben halt alle zusammen geholfen und Schnee weggeräumt. Heute kennt man ja oft seine Nachbarn nicht mehr.

Wobei ich sagen muss, dass sich der siebente Bezirk trotz des sozialen Wohnbaus kaum verändert hat, es hat ja kaum Möglichkeiten für große Gemeindebauten gegeben. Es gibt auch nur ganz wenige in Neubau. Vor einem Jahr war zufällig das Haustor von dem Haus offen, in dem wir gewohnt haben, als ich geboren wurde und da habe ich mir das wieder angeschaut. Das Haus ist zwar sehr schön renoviert, aber so von der Aufteilung hat es sich kaum verändert. Ich habe sogar unsere Wohnung im ersten Stock wieder gefunden, in der wir am Spittelberg vor 90 Jahren gelebt haben.

Kommentar: Johann Brdecka und Walter Senk

BRDECKA

[caption id="attachment_628" align="alignleft" width="150"](c) Elke Mayr (c) Elke Mayr[/caption]