Positionen & Meinungen EU-Taxonomie wird Baufirmen langfristig betreffen

Elisabeth Rauter, Senior Managerin und EYCarbon-Verantwortliche Real Estate bei EY Österreich im Interview über ESG und Nachhaltigkeit.

von 8 Minuten Lesezeit

EU-Taxonomie wird Baufirmen langfristig betreffen

Was bedeutet die verpflichtende EU-Taxonomie für Bau-Unternehmen? 

Die EU-Taxonomie ist ein zentrales Element in einer Reihe von Gesetzgebungen auf EU-Ebene, die darauf abzielen, die Transparenz im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltrelevanz sehr deutlich zu erhöhen. Es werden Investitionsströme aus dem Finanzsektor an Unternehmen gefördert, die sich mit nachhaltigen Aktivitäten beschäftigen. Damit sollen die Verpflichtungen der EU gemäß dem Pariser Klimaabkommen - also CO2-Neutralität bis 2050 - erfüllt werden. Im Rahmen der EU-Taxonomie sind bereits ab 2022 erste Unternehmen verpflichtet rückwirkend für das Geschäftsjahr 2021 erstmalig anzugeben, inwieweit ihre Tätigkeiten mit ökologisch nachhaltig einzustufenden "grünen" Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Die Angaben sind im Rahmen der nicht-finanziellen (Konzern-)Berichterstattung offenzulegen (nationale Umsetzung in Österreich mittels NaDiVeG). Freilich betrifft diese direkte Berichtspflicht vorerst nur wenige große, börsennotierte Bau-Unternehmen. 

Ab 01. Jänner 2022 werden weitere Vorgaben in Kraft treten, die auch technische Bewertungskriterien für den Bau- und Immobilienbereich beinhalten. Grundlage dieser Vorgaben sind unter anderem ein mehrere hundert Seiten umfassendes Dokument der TEG (EU Technical Expert Group). Kurz- und mittelfristig werden sich durch die EU-Taxonomie Auswirkungen für die meisten Bau-Unternehmen ergeben. Der Trend hin zu nachhaltigen Gebäuden wird sich verstärken. Bauherren und Gebäudenutzer werden mehr Transparenz zum Thema Nachhaltigkeit einfordern. Indirekte Effekte der Taxonomie werden auch für Bau-Unternehmen spürbar werden, wenn die Bau-Auftraggeber ihre Taxonomie-Konformität erreichen müssen und dafür gesteigerte Anforderungen an die Bau-Unternehmen weitergeben.

Es hat den Anschein, als hätten sich Bauunternehmen mit dem Thema noch wenig auseinandergesetzt. Sehen Sie dafür einen Grund? 

Es gibt sicherlich viele Bauunternehmen, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit bzw. ESG noch ganz am Anfang stehen. Aber selbstverständlich gibt es auch einige Bespiele, die bereits auf erfolgreiche und nachhaltige Projekte und grüne Bauwerke blicken. Diverse Arbeitsgruppen im Land beschäftigen sich mit dem Green Deal der EU und weiteren Aspekten der Nachhaltigkeit. Trends in Richtung Holzbau und Fassadenbegrünungen sind stark spürbar.  Es ist eine weitreichende Bewusstseinsbildung im Gang. Insbesondere die jüngere Generation engagiert sich stark. 

Das Thema ESG ist sicherlich nicht an einem Wochenend-Workshop der Führungskräfte abgefrühstückt. 

Wie empfehlen Sie Bau-Unternehmen das Thema ESG anzugehen? 

Das Thema ESG ist sicherlich nicht an einem Wochenend-Workshop der Führungskräfte abgefrühstückt. Es beinhaltet Umweltthemen, Themen der sozialen Verantwortung sowie Themen der Unternehmensführung, die an sich schon weite Teile von Unternehmen in die Pflicht nehmen. Dementsprechend ist es wichtig das gemeinsame Wohl in den Vordergrund zu stellen und die Einbindung der gesamten Mitarbeiter ist unumgänglich. Dazu braucht es Change-Management, einen starken und kollektiven Willen und Geduld. Die junge Generation wird die Berücksichtigung der Themen auch von selbst einfordern und vorantreiben wollen. Nachdem das ein einmaliges, neues und nicht alltägliches Thema für viele Unternehmen ist, empfehlen wir unbedingt jemanden ins Boot zu holen, der schon Erfahrung mit der Umsetzung hat. Jedes Unternehmen ist anders und sollte seine Nachhaltigkeitsstrategie mit den sonstigen Unternehmensstrategien und Philosophien in Einklang bringen. 

Weltweit entfallen 39 % aller CO2-Emissionen auf die Bauwirtschaft, welche Maßnahmen zur Senkung machen Ihrer Meinung nach langfristig am meisten Sinn? 

Ein im Dezember 2020 veröffentlichter Bericht des United Nations Environment Programme (UNEP) kommt zum Ergebnis, dass der Gebäude- und Bausektor den Klimazielen deutlich hinterherhinkt und die CO2 Emissionen im Sektor auf einem Rekordhoch sind. Es fallen in etwa 38 % der weltweiten CO2-Emissionen in den Gebäude- und Bausektor und es ist absehbar, dass die Emissionen in den nächsten Jahren noch steigen werden. Um hier die notwendigen massiven Reduktionen zu erreichen, werden mehrere Strategien zu verfolgen sein. Der Energiebedarf von Bestandsgebäuden und Neubauten muss sinnvollen optimiert und mittels alternativer Energiequellen abgedeckt werden. 

Die lokale Energieerzeugung am Gebäude oder im Block bzw. Grätzel beispielsweise mittels Solarthermie oder Geothermie muss zur gelebten Realität werden. Die Energielieferanten und Verbraucher (nicht nur Gebäude, sondern auch E-Mobilität, etc.) müssen bestmöglich vernetzt und aufeinander abgestimmt werden und es bedarf lokaler Energiespeicher. Gebäude selbst müssen effizienter geplant und genutzt werden und mit umweltfreundlichen Materialien errichtet werden. Die Qualität am Bau sowie die Nutzungsqualität der Räume muss wichtiger werden als die Quantität der errichteten Flächen. 

Worauf sollte der Fokus gelegt werden (Zulieferer, Baustoffe, Recyclingfähigkeit, alternative Energiegewinnung, Dämmung)? 

Aufgrund der enormen CO2-Reduktionen, die insgesamt angestrebt werden, wird der Fokus auf die gesamte Wertschöpfungskette gelegt werden. Zulieferer werden zunehmend ihre Nachhaltigkeit belegen müssen. Baustoffe werden hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit weiter klassifiziert werden. Regionale Baustoffe mit geringer Menge grauer Energie werden bevorzugt werden. Die Recyclingfähigkeit von einzelnen Materialien und gesamten Konstruktionen wird weiter an Relevanz gewinnen. Der digitale Zwilling des Gebäudes wird es uns ermöglichen, jederzeit Informationen über alle verbauten Materialien abzurufen. Und selbstverständlich werden Architekten bereits in der Planung Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. 

In welchen Bereichen wird der Druck steigen? Auf wen, warum? 

Nimmt man Klimaschutz und Nachhaltigkeit ernst, so wird der Druck auf uns alle stark steigen müssen. Die festgelegten Ziele für die Bau- und Immobilienbranche sind realisierbar, jedoch bedarf es einer umfassenden und kollektiven Anstrengung. Es liegt allerdings an jedem Einzelnen ob er es als „Druck" auffasst, oder als Gelegenheit und Chance, etwas besser zu machen.

Nachhaltig planen, bauen und betreiben ist nicht zwingend kostenintensiver. Ein erheblicher Teil der Kosten, die ein Gebäude verursacht, entstehen in der Nutzungsphase. 

Wie sieht es mit dem Kostenfaktor aus? 

Nachhaltig planen, bauen und betreiben ist nicht zwingend kostenintensiver. Ein erheblicher Teil der Kosten, die ein Gebäude verursacht, entstehen in der Nutzungsphase. Es wird zu Verschiebungen kommen. Der Planungsprozess wird aufwendiger und detaillierter. Der Ausführungsprozess wird effizienter und produktiver. Es wird mehr Wert auf Qualität, Funktionalität und Werthaltung gelegt. Der Gebäudebetrieb und die Instandhaltung werden günstiger. Richtig gedacht und umgesetzt rechnet sich Nachhaltigkeit nicht nur für die nächsten Generationen, sondern bereits heute.

Welche Rolle wird BIM spielen? 

Building Information Modeling und generell der weitere Einsatz der Digitalisierung in der Bau- und Immobilienbranche ist von sehr großer Relevanz. Einigen Bau-Unternehmen fehlen Daten und Informationen zu ihren täglichen Aktivitäten. Eine Baustelle wird abgeschlossen und bereits beim nächsten Bauvorhaben werden dieselben Fehler wieder gemacht. Oftmals fehlt gänzlich die Feedback-Schleife, so ist ein Lernen aus den Fehlern nicht einmal theoretisch möglich.   

BIM wird es uns ermöglichen Gebäude vorab bis ins letzte Detail zu planen und für den späteren Benutzer erlebbar zu machen. Kosten und Termine werden präziser und mit größerer Sicherheit abgeschätzt werden können. Das Vorfertigen von Bauteilen wird forciert. Auch im Betrieb wird der digitale Zwilling Optimierungen mit sich bringen, so werden Gebäude nachhaltiger geplant, gebaut und betrieben.

Stichwort Digitalisierung: Was braucht es, um ESG erfolgreich umzusetzen? 

Gibt es Startups, die sich mit dem Bereich auseinander setzen? Bei einer Digitalisierungsstudie, die EY gemeinsam mit ZIA Zentraler Immobilienausschuss im Jahr 2020 durchgeführt hat, sahen 84 Prozent der Befragten die Digitalisierung als den Schlüssel für eine professionelle Umsetzung von ESG-Richtlinien. Tatsache ist, dass viele Immobilienbesitzer noch nicht über die notwendigen Informationen verfügen, um nachhaltige Entscheidungen für ihre Gebäude und Portfolios zu treffen. Vielfach sind die Daten grundsätzlich vorhanden oder mit einfachen Maßnahmen (z. B. Sensorik) zu generieren. 

Mit dem Einsatz von Algorithmen können die Daten intelligent sortiert und ausgewertet werden und es können fundierte nachhaltige Entscheidungen getroffen werden. Und apropos Start-Ups: Die Start-Up Szene in der DACH Region im Bau- und Immobiliensektor zählt mehrere 100 Unternehmen, von denen definitiv auch einige im Bereich Nachhaltigkeit und Digitalisierung die Zukunft mitgestalten werden.  

Der Klimawandel führt zu einer zunehmenden Regulatorik und veränderten Nachfrage seitens Investoren und Nutzern. Schnelles und entschiedenes Handeln ist notwendig, um den Wertewandel als Chance zu nutzen.

Welche Rolle wird die Kreislaufwirtschaft im ESG-Zusammenhang spielen? Vor allem in Bezug auf Recycling von Baustoffen? 

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft ist eines der sechs Umweltziele der EU-Taxonomie. Die Kreislaufwirtschaft wird zur Ressourceneffizienz und somit zum Schutz natürlicher Ressourcen führen. Die Bau- und Immobilienbranche verursacht einerseits einen enormen Verbrauch von teils knappen Ressourcen durch die Verwendung neu gewonnener Baumaterialien und führt andererseits insbesondere durch den Abbruch von baulichen Anlagen zu einem nennenswerten Abfallaufkommen. Eine weitere Verbesserung der Trennung der Abfälle sowie der Recyclingfähigkeit wird eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit spielen.

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