Positionen & Meinungen Kompetenz im Gefängnisbau

Architektin und Penologin Andrea Seelich im Interview über Wirkung und die Möglichkeiten der Architektur im Strafvollzugsalltag.

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Kompetenz im Gefängnisbau

Ein Gefängnis zu planen ist überaus komplex. Gibt es dafür eigentlich eine spezielle Ausbildung? 

Die Kernkompetenz besteht darin, den Zusammenhang zwischen Architektur und Strafvollzugsalltag, das bedeutet der Applikation der Gesetze, Betriebs- und Vollzugskonzepte zu kennen. Dieser Zusammenhang wurde schon in den 20er Jahren des 19. Jahrhunders als „Systhem“ bezeichnet. In Europa kennen wir vor allem das "Pennsylvanische Systhem“, dessen architektonische Form des Strahlenbaues eine Abwandlung des Eastern State Penitentiary in Philadelphia darstellt. Diese Art der Strafvollzugsarchitektur wurde ausgerechnet zu dem Zeitpunkt übernommen, als das einzige Fach in dem Gefängnisbau unterrichtet wurde, im Zuge der Hochschulreformen, aus dem Lehrplan fiel.  

Die Erkenntnisse der Psychologie, Soziologie, Penologie, Kriminologie der Gegenwart brauchen eine moderne Architektur - nur wird diese bislang nicht gelehrt. Um wirklich eine Vorstellung von der Strafvollzugsarchitektur und ihrer Wirkungsmöglichkeit zu bekommen reicht ein Semesterprojekt nie aus, was auch der Grund ist, dass alle Versuche in diese Richtung scheitern. 

Die Erkenntnisse der Psychologie, Soziologie, Penologie, Kriminologie der Gegenwart brauchen eine moderne Architektur - nur wird diese bislang nicht gelehrt.

Um das Handwerk des Strafvollzugsbaus zu lernen braucht es also theoretisches Wissen aus vielen unterschiedlichen Bereichen? 

Richtig. Man braucht Know-how in Architektur und Städtebau, Strafvollzugskunde, Geschichte, Gesetzgebung (national und international), Psychologie (vor allem die Auswirkungen von Freiheitsentzug), Soziologie und Management. Dieses Wissen muss mit der Praxis in Justizanstalten einhergehen, denn nur so lernt man die Auswirkungen der Theorie auf den Alltag. Dazu genügt es nicht ein Gefängnis gut zu kennen, sondern mindestens zehn verschiedene in verschiedenen Ländern. 

Wieviele Gefängnisse muss man analysieren, um Experte zu werden? 

Sattelfest wird man ab etwa 50 analysierten Gefängnisbetrieben. Sattelfest bedeutet, dass man beim Blick auf einen Grundriss erkennt, welche Gefahren, welche Atmosphäre, Arbeitszufriedenheit und Wirtschaftlichkeit sowohl im Bezug zur Instandhaltung als auch der Personalressourcen der Entwurf bietet. Es genügt also bei weitem nicht, Fenster und Türen auseinanderhalten zu können. Wer tut sich das an? In der Regel niemand und so wird das Thema aus den Justizministerien gerne ausgelagert.  

Was sind die Konsequenzen daraus? 

Die Folgen sind: fehlende Kontinuität bei der Gefängnisplanung und somit Ineffizienz, also Unwirtschaftlichkeit. Je weiter der Weg zwischen den Nutzern und den Verantwortlichen ist, desto weniger fällt dies auf. Thematisiert wird das hin und wieder bei Wettbewerben.

Sehr zu empfehlen ist es bei dem Wettbewerb nicht ein „schlüsselfertiges“ Gefängnis zu suchen, sondern einen Architekten als Partner, der zusammen mit dem internen Kernteam die zu dem Zeitpunkt idealen Lösungen für alle Funktionsabläufe entwickelt.

Wie geht man ein Gefängnisprojekt also richtig an? 

Am Anfang steht ein zeitgemäßes Betriebs- und Vollzugskonzept der zu planenden Anstalt. Das Bedeutet, dass sich der Anstaltsleiter, das Projekt von der Planung bis zur Fertigstellung, den Probebetrieb in der Dauer eines Jahres, und mindestens einige Jahre Regelbetrieb führt. Idealerweise mit einem Kernteam seiner engsten Mitarbeiter. Das Ausmaß der anstaltsinternen Partizipation ist oft Talentsache des Managements, dauert manchmal länger, zahlt sich allerdings aus. Auf dem Betriebs- und Vollzugskonzept aufbauend entsteht ein Raum- und Funktionsplan. Idealer Weise wird eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die die Schwächen und neuralgischen Punkte der bisherigen Unterlagen und/oder des gewählten Grundstückes aufzeigt. Nun sollte ein genauer Beschrieb der gewünschten Raumwirkungen und No-go´s erfolgen.  

Die am Wettbewerb teilnehmenden Architekten können sich so voll auf ihr Können im Bereich der Raumschaffung und Raumgestaltung fokussieren, und sich so von den oft falschen Darstellungen des Themas Gefängnis in den täglichen Fernsehserien lösen. Sehr zu empfehlen ist es bei dem Wettbewerb nicht ein „schlüsselfertiges“ Gefängnis zu suchen, sondern einen Architekten als Partner, der zusammen mit dem internen Kernteam die zu dem Zeitpunkt idealen Lösungen für alle Funktionsabläufe entwickelt. Dazu braucht es einen erfahrenen Anstaltsleiter, den Rückhalt der übergeordneten Behörden und politischen Willen, meist über eine Legislaturperiode hinaus. 


Andrea Seelich arbeitet als Architektin und Penologin seit mehr als 20 Jahren im Bereich des europäischen Strafvollzuges. Sie berät Justizministerien, Anstaltsleiter und Architekten, unterrichtet an Hochschulen und publiziert. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Wirkung und den Möglichkeiten der Architektur im Strafvollzugsalltag. 

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