Wohnen Mittelschicht verliert durch Inflation besonders viel

Agenda-Ökonom Lorenz: Bei anhaltend hoher Teuerung droht Arbeitslosigkeit und Wohlstandsverlust - Hohe Lohnabschlüsse über Jahre hinweg schwächen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen

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Mittelschicht verliert durch Inflation besonders viel

Österreich hat im Vergleich zu anderen Ländern eine sehr breite und wohlhabende Mittelschicht, die auch die Finanzkrise von 2008 relativ gut überstanden hat. Die Corona-Pandemie und die Inflation infolge der Energiekrise haben aber gerade die Bezieher mittlerer Einkommen spürbar getroffen, zeigt eine aktuelle Studie wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria. Auch vom demografischen Wandel geht ein besonderer Druck auf die Mittelschicht aus.

Während in manchen europäischen Ländern die Mittelschicht in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft sei, sei dies in Österreich nicht der Fall gewesen, sagt Hanno Lorenz, der für die Agenda Austria u.a. in den Bereichen Armut und Verteilung, Bildung und Digitalisierung forscht.

"Österreich hat im internationalen Vergleich eine sehr, sehr breite Mittelschicht, sie umfasst also einen sehr großen Personenkreis", sagte Lorenz im Gespräch mit der APA. "Und in den letzten zwanzig Jahren hat sie sich nicht wesentlich verändert, das heißt, 1997 gehörten anteilsmäßig genauso viele Menschen zur Mittelschicht, wie das 2019 der Fall war." In diesen Zeitraum falle auch die Finanzkrise, nach der der Einkommenszuwachs für sechs bis sieben Jahre stagniert habe.

2019 sei die österreichische Mittelschicht immer noch nicht nur breit, sondern auch wohlhabend gewesen. Nur in fünf OECD-Ändern seien die Einkommen der Mittelschicht höher als in Österreich. Im Jahr 1997 gehörten 67,4 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen zur Mitte. Fast eine Generation danach, im Jahr 2019, war der Anteil noch immer so hoch.

Bei ihrer Analyse halten sich die Ökonomen der Agenda Austria an die OECD-Definition, wonach zur Mittelschicht Haushalte mit 75 bis 200 Prozent des Median-Einkommens gehören. Man messe die Haushaltseinkommen inklusive der Transferleistungen, weil manche Transferleistungen nur einmal pro Haushalt bezahlt würden, erklärte Lorenz.

Bei der Entwicklung der letzten Jahre könne man nur mit Schätzungen arbeiten, weil es noch zu wenige Daten darüber gebe, sagte Lorenz. Man habe die automatischen Stabilisatoren, also etwa Arbeitslosengeld und geringere Besteuerung niedrigerer Einkommen in Kombination mit Einmalzahlungen und Kurzarbeit wegen Corona berücksichtigt. Diese hätten die Einbußen im Coronajahr 2020 vergleichsweise gut abgefedert. "Wir hatten einen Wirtschaftseinbruch von ungefähr sieben Prozent real, die Haushaltseinkommen sind aber nur um ungefähr ein Prozent geschrumpft."

Während die niedrigsten Haushaltseinkommen im Jahr 2020 durch die Leistungen des Sozialstaates zum Teil sogar gestiegen seien, hätten die Haushalte der Mittelschicht Einbußen hinnehmen müssen. "2021 war dann schon konjunkturell relativ gut, sodass es mit Sicherheit nicht negativ gewesen ist für die Haushaltseinkommen, weil der Arbeitsmarkt schon relativ stark angezogen hat."

Problematischer sei die Lage in Jahr 2022, "da hat der Staat es nicht mehr geschafft, Mehrbelastungen abzufangen. Er kann es unserer Meinung nach auch nicht wirklich schaffen, weil es einfach zu teuer und auch nicht zielführend ist für den Sozialstaat, alle Menschen zu subventionieren." Letztlich müssten die Haushalte die Mehrbelastungen tragen, sei es direkt oder über Steuern.

"Im Jahr 2022 wird der Wohlstand der Mittelschicht stärker eingebrochen sein als für niedrige Einkommen, weil diese staatlich stärker gestützt wurden." Auch die Einkommen der Reichen seien wohl stärker eingebrochen.

Das werde im kommenden Jahr durch die Lohnabschlüsse zunächst etwas korrigiert werden, es werde ein reales Lohnwachstum geben - was sich aber durch die immer noch hohe Inflation im Laufe des Jahres wieder ändern werde. "Insgesamt lässt sich sagen: Wenn wir es schaffen, die Inflation in absehbarer Zeit einigermaßen in den Griff zu bekommen, dann wird es wahrscheinlich bei diesem stagnierenden Wohlstand in der Mittelschicht für ein, zwei, drei Jahre bleiben." Danach werde die Entwicklung relativ gut weiter verlaufen.

Wenn man es nicht schaffe, die Inflation in den Griff zu bekommen, dann werde die Mittelschicht anteilsmäßig schrumpfen. Das Inflationsziel der EZB von etwas über zwei Prozent werde man nach Prognosen der EZB selbst 2025 noch nicht ganz erreicht haben. Inflationswerte von zwei bis drei Prozent "werden zumindest keine massiven Wohlstandsverluste in der Mitte kreieren".

Anhaltend hohe Inflationsraten von sechs Prozent oder mehr könne man auf Dauer nicht durch Lohnerhöhungen ausgleichen. "Auch im nächsten Jahr wird das ein Riesenproblem werden bei den Lohnverhandlungen", meint Lorenz. "Ich gehe nicht davon aus, dass man drei Jahre lang diese Lohnsteigerungen mitgehen kann, dann wird man einen Wettbewerbsnachteil haben und es wird zu Unternehmensschließungen kommen. Dann geht es auch nicht darum, ob gestreikt wird oder nicht, sondern wir werden eine steigende Arbeitslosigkeit haben in Österreich und das führt dann natürlich zu Wohlstandsverlusten und zu Einkommensverlusten auch in der Mittelschicht."

Neben den aktuellen Krisen gehe für die Mittelschicht auch von der demografischen Entwicklung ein Druck aus. Das Produktivitätswachstum werde den Produktivitätsverlust durch die Pensionierungen nicht ausgleichen können und es werde weniger Wohlstand zu verteilen geben. Darauf müsse man im Bildungssystem reagieren und den Menschen die Grundfähigkeiten vermitteln - also sinnerfassendes Lesen und Rechnen -, die für lebenslanges Lernen notwendig seien. Anderen Ländern gelinge es besser als Österreich, die Kinder von Zuwanderern ins Bildungssystem zu integrieren.

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