ImmoVision 2022 Michael Widschwendter

Wir fragen, Experten antworten - die Serie zum Jahresbeginn

Die gesamtwirtschaftlichen Folgen von COVID-19 sind derzeit nur zum Teil vollends abzusehen. Diese Unsicherheit bedingt trotz fiskal- und geldpolitischer Maßnahmen kurzfristig eine abwartende Haltung gegenüber dem Marktgeschehen und eine gesteigertes Interesse an Core-Immobilien.

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Michael  Widschwendter

Wie optimistisch bzw. wie pessimistisch gehen Sie in das neue Jahr? Welche Assetklasse wird Investors Liebling?

Das Jahr 2022 beginnt mit den bereits bekannten Herausforderungen die uns auch schon im letzten Jahr beschäftigt haben. COVID-19 hat unsere Arbeits-, Einkaufs- und Lebensgewohnheiten geändert bzw. wurden dadurch bereits bekannte Trends massiv beschleunigt. Diese Veränderung betrifft nahezu alle Asset Klassen, wobei die Impacts in der jeweiligen Nutzungsart unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Durch die Perspektive hybrider Arbeitsplätze wurde der gesamte Büromarkt auf den Kopf gestellt und es ist zukünftig auch mit einem höherem Leerstand zu rechnen. Die Qualität und das Konzept der Gebäude wird in Zukunft viel zum Vermietungserfolg beitragen, ebenso wie Nachhaltigkeitskriterien. Die Asset-Klasse Wohnen hat sich auch schon vor der Pandemie schon als sehr zuverlässig und stabil erwiesen. Das Thema Homeoffice beinhaltet sicherlich ein gewisses Umdenken bzw. eine Neuorganisation der eigenen vier Wände, bestätigt aber nochmals die Robustheit dieser Asset-Klasse.

Die gesamtwirtschaftlichen Folgen von COVID-19 sind derzeit nur zum Teil vollends abzusehen. Diese Unsicherheit bedingt trotz fiskal- und geldpolitischer Maßnahmen kurzfristig eine abwartende Haltung gegenüber dem Marktgeschehen und eine gesteigertes Interesse an Core-Immobilien. Mittel und langfristig ist mit einer Interessenverschiebung der Investoren und einem veränderten Risikoprofils ausgewählter Asset-Klassen zu rechnen. Aktuell ist davon auszugehen, dass Hotels und der Einzelhandel am längsten mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben.

Die Preisentwicklung von Immobilien-Investments kannte über viele Jahre nur eine Richtung: Aufwärts. Was bedeuten ESG und COVID-19 für die Immobilienbewertung?

Bewerten heißt Vergleichen. Die aktuell unzureichende Datenverfügbarkeit stellt die quantifizierende Transformationsleistung und somit die transparente Berücksichtigung von ESG-Kriterien regelmäßig die wesentlichen Herausforderungen bei der Immobilienbewertung dar. Immobilienbewerter reflektieren lediglich das Markgeschehen bzw. die am Markt beobachtbare Zahlungsbereitschaft, beeinflussen diese jedoch nicht. Etwas konkreter heißt das: Es wird abgebildet was am Markt passiert und nicht zu antizipieren, dass ökologische Gebäude „mehr Wert sein müssen“ und diese „Tatsache“ auch ohne weitere Marktdaten als Beweis eingepreist werden sollten bzw. energetisch ineffiziente Gebäude einen Abschlag „haben müssen“. Der „Green Premium“ oder ein „Grey Discount“ sind kein eigener Wert, sondern ein integraler Bestandteil des Marktwertes einer Immobilie. Um die schon genannte Vergleichbarkeit zu gewährleisten, benötigt es Standards sowie Technologien, um die Datenmengen überblicken und auswerten zu können.

Eine vollumfängliche Einschätzung der künftigen Auswirkungen von COVID-19 und insbesondere auf die Immobilienbewertung kann derzeit nicht getroffen werden. In der Immobilienbewertung steht das einzelne Objekt und der damit verbundene Standort sowie das lokale Marktumfeld im Fokus. Die Wertermittlung berücksichtigt sowohl kurzfristige als auch mittel- und langfristige Auswirkungen. Hier zeigen sich erste Impacts bei den geplanten Erträgen durch Mietreduktionen, Mitausfällen und gewährten Stundungen, die wiederum den Cashflow beeinflussen. Kurzfristige Effekte lassen sich in der Bewertung klar darstellen. Mittel- und langfristige Impacts sind nicht planbar und können lediglich über Szenarien oder geeignete Modelle abgebildet werden.

Werden Umwelt- und Pandemie-Risiken in Form höherer Risikoprämien stärker eingepreist werden? Rechnen Sie mit steigenden Zinsen?

Durch die aktuellen Veränderungen, insbesondere das Thema rund um ESG sowie die anhaltende Pandemie, zeichnet sich eine neue Einschätzung der Risiken ab, die zu einer anlagespezifischen Umgestaltung der Risikoprämie führen wird. Die Folge daraus wird sein, dass man nicht mehr von einem einheitlichen Immobilienmarkt sprechen kann. Zwischen den Immobilien Asset-Klassen und innerhalb einzelner Asset-Klassen werden erhebliche Divergenzen in den Verläufen zu erwarten sein.

Auch wenn die geldpolitische Quelle nicht über Nacht versiegen wird, ist angesichts des nach wie vor historisch- und zyklusbedingten Niedrigzinsumfelds mit einer erhöhten Volatilität der Kapitalströme zu rechnen. Der verlängerte Immobilienpreiszyklus birgt hier ein weiteres Risiko. Um diesem Risiko entgegenzuwirken sollten sich Investoren auf Resilienzen und strukturelle Vorteile zur Abfederung der Marktvolatilität konzentrieren. Die gestiegene Inflation setzt die Zentralbanken aktuell unter Druck, ihre Geldpolitik zu straffen, was zu einem „leichten“ Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus führen wird. Das Zinsniveau ist momentan im historischen Vergleich noch sehr niedrig und es sind keine Änderungen zu erwarten, die uns in kurzer Zeit auf ein Niveau der vor zehn Jahre üblichen Zinsen von drei bis vier Prozent bringen wird.

Welche drei Themen werden die Immobilienwirtschaft 2022 am stärksten beeinflussen? Wo sehen Sie die zentralen Herausforderungen? Was wären mögliche Lösungsansätze? 

 1. Das Thema COVID-19 wird uns über das Jahr 2022 hinaus weiter beschäftigen. Mutationen des Virus, notwendige Maßnahmen sowie politische Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pandemie schaffen eine zusätzliche Unsicherheit in der Gesellschaft und auf den Märkten. Die Herausforderungen liegen hier in erster Linie in der Bekämpfung der Pandemie zu der wir durch eine hohe Impfrate beitragen können.

2. „ESG ist gekommen um zu bleiben!“ Das Thema rund um die Nachhaltigkeit sowie der Dekarbonisierung hat begonnen und wird uns noch sehr lange und intensiv beschäftigen. Die regulatorischen Neuerungen betreffen alle Teilbereiche der Immobilienwirtschaft und deren gesamten Lebens- und Investitionszyklus. Viele der Regelungen sind (noch) nicht aufeinander abgestimmt und koordiniert. Diese mangelnde Harmonisierung und zum Teil noch unbestimmten Rechtsbegriffe stellen im Moment noch große Herausforderungen dar. Eine weiter nicht zu vernachlässigende Herausforderung ist die Datenqualität und -quantität die gleichzeitig homogenisiert und standardisiert werden muss. Wichtige Erfolgsfaktoren sind dabei ein dementsprechendes Mindset im Unternehmen, Austausch in der Branche sowie Fort- und weiterbildungsmaßnahmen für die gesamte Mitarbeiterschaft.

3. Last but not least ist die Digitalisierung ein zentrales Thema, dass die Branche im kommenden Jahr beeinflussen wird. Die zunehmende Virtualisierung von Arbeit und Freizeit stellt dabei die nächste große Entwicklung dar, die abermals den Büroalltag verändern werden. In Zukunft bedarf es neuer Technologien, das Aufbrechen von Datensilos – insbesondere im Zusammenhang mit ESG, neue Berufsbilder und eines digitalen Mindsets, um den Herausforderungen und Chancen für die Immobilienwirtschaft gerecht zu werden. 

Ihre Pläne und Ziele für Ihr Unternehmen 2022?

Die Arealis als Asset- und Property Manger wird zukünftig das Thema Nachhaltigkeit aktiv in ihre Unternehmenskultur und -politik aufnehmen. Der Schwerpunkt dabei liegt, neben der Erfüllung der regulatorischen Anforderungen (z.B. EU Taxonomie und Offenlegungsverordnung) von Seiten des Gesetzgebers, auch in der konsequenten Ableitung auf das Geschäftsmodell der Auftraggeber und die Arbeitsweise der Organisation innerhalb der Arealis. Dabei verfolgen wir einen konsequenten Ansatz, dass sich wirtschaftlicher Erfolg und verantwortungsvolles Handeln nicht ausschließt, sondern gegenseitig bedingt – „Manage to Green“. Dieses Verständnis und ein entsprechendes Handeln erwarten wir nicht nur von uns selbst, sondern auch von unseren Stakeholdern, mit denen wir agieren. Gleichzeitig nützen wir die aktuellen Anforderungen hinsichtlich der Datenqualität und -quantität rund um das Thema ESG, um heterogene Datensilos aufzubrechen. Wir haben bereits 2021 begonnen unsere digitale Infrastruktur zu überarbeiten bzw. zu erweitern, sodass wir zukünftig in der Lage sind alle die an uns gestellten Anforderungen erfüllen zu können. Zudem prüfen wir aktuell Plattformen die uns bei der Erhebung und Auswertung der ESG-relevanten Daten auf Objekt- und Portfolioebene im Zusammenhang der EU Taxonomie, Offenlegungsverordnung, Mieterzufriedenheit, Dekarbonisierungsgrad, Klimarisiko, Nachhaltigkeitsberichte und usw. unterstützen. Auch wenn das Thema ESG im Moment noch sehr „E-lastig“ ist und Klimaziele im Fokus stehen, ist für uns das „S“ und „G“ ebenfalls Bestandteil unserer Gesamtstrategie.

Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen, werden die Anforderungen an das Unternehmen bzw. Bestandsmanagement sowie an die einzelnen Mitarbeiter immer komplexer. Wir nützen diese neue Herausforderung um die Zusammenarbeit von Mitarbeitern und die Flexibilität der Arbeit zu fördern. „Lifelong Learing“ ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Personalstrategie, daher bieten wir auch im kommenden Jahr allen Mitarbeiter die Möglichkeit sich fachlich und persönlich bei der Arealis weiter zu bilden bzw. weiter zu entwickeln.

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